Sichtbar werden

Nahaufnahme von Händen, die Lauch überreichen.
Foto: Reiner Pfisterer

Zu den Ausgabestellen der Tafeln kommen Menschen, die ohne gespendete Lebensmittel sich und ihre Familien nicht ausreichend ernähren könnten. Menschen, die aus ganz unterschiedlichen Situationen heraus zu Kundinnen und Kunden der Tafeln wurden. Hier erzählen sie ihre Geschichte.

Ohne Tafel geht es nicht

Tafel-Kunde Stefan
Stefan, 60 Jahre

„Ich gehe schon seit vielen Jahren zur Langener Tafel. Früher wurde die Nummer noch auf die Handfläche geschrieben. Da haben einige geschummelt und zum Beispiel aus der 41 eine 4 gemacht, damit sie früher drankommen. Das ist jetzt alles viel moderner und organisierter. Ich gehe gern dorthin, auch wegen der Kontakte, und kenne fast alle mit Namen.

Dieses Jahr gibt es weniger Lebensmittel, das fällt mir auf. Aber für mich reicht es. Ich lebe allein und arbeite noch im Sozialkaufhaus in Sprendlingen. Da bin ich montags bis donnerstags und Freitag ist mein Tafel-Tag.

Ich bin gelernter Blumen- und Zierpflanzengärtner, habe aber Epilepsie und kann keinen Führerschein machen. Da war es mit den Jobs kompliziert. Ich habe dann alles Mögliche gemacht, zum Beispiel im Landschaftsbau gearbeitet und in einem Blumenladen. Zwölf Jahre war ich bei einer Umzugsfirma. Da habe ich mir den Rücken kaputtgemacht und hatte einen Bandscheibenvorfall. Mit meinem Arbeitslosengeld II komme ich nur aus, weil es die Tafel gibt. Wenn es die nicht geben würde, könnte ich keine Klamotten kaufen, dann würde alles Geld für Lebensmittel draufgehen.

Ich kann auch kein Geld zurücklegen. Es ist einfach zu wenig, was der Staat sich da ausgedacht hat. Weil alles teuer geworden ist, kaufe ich nur noch Sonderangebote. Die Heizung bleibt aus und auch am Wasser spare ich. Worauf ich stolz bin: Seit 26 Jahren bin ich bei den Guttemplern, eine Sucht-Selbsthilfe-Organisation. Seitdem trinke ich keinen Alkohol mehr und hatte auch noch nie einen Rückfall!“

Vorurteile ärgern mich

Tafel-Kundin Myriam
Myriam , 45 Jahre

„Als alleinerziehende Mutter muss ich jeden Cent umdrehen und genau schauen, was ich einkaufen kann und was nicht. Vor drei Jahren bin ich zum ersten Mal zur Tafel gegangen, das war mir sehr unangenehm. Ich wollte auf keinen Fall, dass mich jemand erkennt und meine Bedürftigkeit dann sichtbar wird. Aber am Monatsende hat das Geld nicht mehr gereicht und ich brauchte für mich und meine Tochter etwas zu essen. Das war damals noch bei der Tafel in Wesel.

Jetzt gehe ich in Mehrhoog zur Tafel, da ist es familiärer und es war mir anfangs noch peinlicher, weil jeder jeden kennt. Aber durch die angenehme Atmosphäre dort habe ich die Scheu verloren und wir sind froh, dass es diese Einrichtung gibt, die mir und vielen anderen mit Lebensmitteln unter die Arme greift.

Denn ohne die Tafel würde ich mit meinem Geld nicht auskommen. Ich gehe in Teilzeit arbeiten, bin Integrationshelferin an einer Schule. Das passt gut, auch von den Ferienzeiten, denn ich habe keine Familie in der Nähe, die die Betreuung meiner zehnjährigen Tochter übernehmen könnte.

Die Tafel hilft mir, mit meinem Geld auszukommen. Ansonsten kaufe ich viel Second Hand, gerade Klamotten, oder wir gehen auf den Flohmarkt. Für mein Kind finde ich schade, dass wir vieles nicht machen können, Kino, Freizeitpark oder auch mal essen gehen. Was mich aber besonders ärgert, sind die vielen Vorurteile. Als wenn Menschen, die wenig Geld haben, selbst schuld oder faul wären – das ist nicht richtig!“

Dankbar für die Hilfsbereitschaft

Tafel-Kundin Edelgard
Edelgard, 80 Jahre

„Im vergangenen Jahr hatte ich einen Schlaganfall und mein Leben änderte sich von einem Tag auf den anderen. Seitdem bin ich auf den Rollstuhl angewiesen und kann meinen rechten Arm nicht mehr richtig bewegen. Meine chronisch kranke Tochter, die ich bis dahin zu Hause betreut habe, musste ins Heim.

Jetzt komme ich mit meiner Rente nicht mehr aus. Vorher hatten wir noch das Pflegegeld zum Leben. Knapp 1.000 Euro sind zu wenig für die Miete und alle anderen
Ausgaben. Ich liege nachts oft wach und frage mich, wie das alles werden soll. Jetzt wo die Heizung auch noch teurer wird. Ich habe Angst, dass ich frieren muss. Meine Wohnung liegt im Souterrain, das ist eher kalt. Aber einen Umzug kann ich jetzt nicht mehr stemmen. Darum bin ich sehr froh, dass es die Tafel gibt.

Als Diabetikerin muss ich auch noch mal ganz besonders auf meine Ernährung achten, vieles kann ich mir im normalen Supermarkt nicht mehr leisten. Die Dame vom Pflegedienst hat mich auf das Angebot der Tafel in Mehrhoog aufmerksam gemacht. Ich gehe jetzt regelmäßig jeden Dienstagnachmittag zur Tafel. Ich freue mich dann auf gute Butter, Eier und manchmal nehme ich auch ein Fertiggericht mit und natürlich Brot und Brötchen.

Alle sind sehr freundlich und hilfsbereit. Das ist wichtig, denn im Rollstuhl bin ich auf Unterstützung angewiesen. Und die Tafel ist gut organisiert, sodass ich nicht lange warten muss.“

Geld reicht nur bis Monatsmitte

Tafel-Kunde Endris
Endris, 43 Jahre

„Seit 2015 lebe ich mit meiner Familie in Deutschland. Wir sind aus Syrien vor dem Krieg geflohen, der hat alles zerstört. Ich war Schuhmacher und hatte mein eigenes Geschäft, das war sehr schön. Wir haben drei Töchter. Zwei gehen zur Schule, eine in die Vorschule.

Zurzeit erleben wir ein sehr schwieriges Jahr mit wenig Geld. Wenn wir Tee und Reis auf dem Markt kaufen, ist alles doppelt so teuer. Auch für Strom und Gas bezahlen wir mehr und Mitte des Monats ist oft kein Geld mehr da.

Ohne die Langener Tafel könnten wir nicht leben. Sie hat uns sehr geholfen, auch die letzten Jahre schon. Aber zurzeit ist es besonders schlimm. Dabei sparen wir schon überall. Meine Frau kocht und backt selbst, viel kaufen wir beim türkischen Markt. Öl, Zucker und Mehl nehme ich vom Supermarkt.

Aber trotzdem reicht das Geld nicht. Mit Kindern ist das besonders schwer. Letzte Woche habe ich für 60 Euro Schulbücher gekauft. Woher soll ich das Geld nehmen? Auch verlieren Kinder mal was und für mich als Vater ist es nicht leicht, meinen älteren Töchtern immer sagen zu müssen: „Das können wir nicht kaufen, das ist zu teuer.“

Ich mache jetzt eine Weiterbildung zum Busfahrer. Ich hoffe sehr, dass ich einen Job finde, bei dem ich genug verdiene, um meine Familie zu ernähren. Vorher war ich Taxifahrer. Meine Frau will auch arbeiten. Sie macht jetzt einen B1-Deutschkurs. Wir sind dankbar, dass wir in Deutschland leben, aber der Krieg in Europa macht uns Angst. Wir haben das alles schon erlebt.“

Ein Lichtblick vor und nach der Flut

Tafel-Kundin Anita
Anita, 61 Jahre

„Ich habe bei der Bundespolizei in der Verwaltung gearbeitet. Durch massives Mobbing bin ich krank geworden und musste für drei Monate in eine psychiatrische Klinik. Ohne mein volles Gehalt bin ich dann nicht mehr ausgekommen. Das Krankengeld nach meiner Entlassung hat nicht gereicht.

In der Klinik hat man mich auf die Tafel aufmerksam gemacht, aber ich hatte große Angst, dorthin zu gehen, Angst vor Menschen, die das gegen mich verwenden könnten. Und ich konnte es selbst nicht fassen, dass ich mal in so eine Situation komme. Es war eine große Überwindung, aber ich konnte die Lebensmittel gut gebrauchen.

Später bin ich wieder ins Berufsleben eingestiegen, aber erneut krank geworden. Seit 2017 bin ich in Frührente, da reicht das Geld auch nicht aus. Die Tafel ist dann irgendwann zu einem Lichtblick geworden.

Ich habe dort Gleichgesinnte getroffen, viele sind zu Freunden geworden und man hat sich ausgetauscht. Es hat gut getan, zu sehen, dass man nicht allein ist in und mit dieser Situation. Für mich sind die Menschen, die sich bei der Tafel engagieren, Heldinnen und Helden des Alltags, ehrlich! Das ist eine ganz tolle Arbeit, die da geleistet wird.

Während Corona wurden die Lebensmittel sogar gebracht und jetzt, wo es immer mehr Kundinnen und Kunden gibt, versucht die Tafel, das Beste aus der Situation zu machen. Auch die Spenden sind weniger geworden, das merke ich. Früher konnte ich mir Dinge aussuchen, jetzt bekomme ich die Kiste fertig gepackt. Aber ich bin sehr froh, dass die Tafel Ahrweiler sogar nach der Flut im Ahrtal so schnell wieder aufgemacht hat.“

Dieser Beitrag erschien im Tafel-Magazin 2022.

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