© Oliver Vaccaro
Regional, gesund und ballaststoffreich – ausgerechnet Gemüse mit diesen Merkmalen bleibt am Ende einer Tafel-Ausgabe häufig übrig. Gleichzeitig zeigen Studien, dass sich armutsbetroffene Menschen meist ungesünder ernähren als wirtschaftlich bessergestellte. Das IN FORM-Projekt „Tafel is(s)t gesund“ bietet deshalb direkt vor Ort Seminare zur Ernährungsbildung für die Tafel-Gäste an.
Gegen Verschwendung
Die über 960 Tafeln in Deutschland retten rund 265.000 Tonnen Lebensmittel im Jahr – neben Gemüse auch Obst, Backwaren, Lagerbestände mit nahendem Mindesthaltbarkeitsdatum, Saisonartikel, Überproduktionen und falsch deklarierte Ware. Die Tafeln prüfen alle Spenden sorgfältig: Nur qualitativ einwandfreie Lebensmittel werden an armutsbetroffene Menschen kostenfrei oder gegen einen symbolischen Betrag weitergegeben. Doch am Ende des Tages bleiben auch bei den Tafeln Nahrungsmittel übrig, die keiner möchte – oft gesunde Alleskönner, beispielsweise Wurzelgemüse wie Sellerie, rote Bete, Pastinake oder Steckrübe.
Im IN FORM-Projekt „Tafel is(s)t gesund“, das im Jahr 2021 gestartet ist, erfahren Tafel-Gäste in Seminaren zur Ernährungsbildung nicht nur, wie schmackhaft beispielsweise eine Sellerieknolle zubereitet werden kann. Sie lernen auch die Grundlagen einer ausgewogenen Ernährung kennen. Dazu erhalten sie Tipps, wie die Umsetzung im Alltag gelingt. Denn die Erfahrung zeigt: Neben einem schmalen Geldbeutel ist es häufig fehlendes Wissen, das bei vielen Menschen zu einer unausgewogenen Ernährung führt.
Für Gesundheit
Die „Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland – Welle 1″ (DEGS1) des Robert Koch-Instituts (RKI) zeigt übereinstimmend mit anderen Studien, dass Personen mit einem niedrigen sozioökonomischen Status häufiger an ernährungsmitbedingten Krankheiten wie Übergewicht oder Diabetes leiden als Personen mit einem höheren sozioökonomischen Status (RKI 2015).
Diese Auswirkungen zeigen sich bereits bei Heranwachsenden, wie die „Studie zur Gesundheit von Kindern und jugendlichen in Deutschland (KiGGS – Welle 2) des RKI belegt: Danach ernähren sich von Armut betroffene Kinder häufiger ungesund, treiben seltener Sport und sind öfter übergewichtig als ihre wirtschaftlich bessergestellten Altersgenossen (RKI 2019). Auch die Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie wirkten sich negativ auf die Kinder- und Jugendgesundheit aus. Wie eine Sonderanalyse der DAK-Gesundheit zeigt, betrifft das insbesondere die Bereiche Körpergewicht und psychische Gesundheit (DAK 2021).
Für Ernährungskompetenz
Abhilfe möchte das IN FORM-Projekt „Tafel is(s)t gesund“ schaffen: In sechs Seminareinheiten können sich Tafel-Gäste mit den Grundlagen einer ausgewogenen Ernährung auseinandersetzen. Dabei lernen sie unter anderem heimische Obst- und Gemüsearten so – wie neue Rezepte kennen. Eine wichtige Rolle spielt auch das Thema Bewegung: Direkt eingebunden in das Bildungsangebot sind daher praktische Übungen für den Alltag.
Für Kinder und jugendliche gibt es spezielle Seminare, um das lnteresse am Thema Ernährung zu wecken. Sie schnippeln Obst oder raspeln Gemüse und bereiten einfache Snacks wie einen Früchtequark oder ein Sandwich zu. Ganz nebenbei wecken Rätselaufgaben und Sinnexperimente ihre Neugier und Begeisterung für das Thema: Wie riecht ein Lebensmittel? Wie schmeckt es? Welche Geräusche macht es beim Essen? Verschiedene Bewegungsspiele ergänzen das Angebot.
Für Geselligkeit und Austausch
Das Bildungsangebot sensibilisiert die Zielgruppe nicht nur für eine gesunde Lebensweise und stärkt ihre Ernährungskompetenz. Das Projekt schafft auch Raum für soziale Kontakte, die Menschen mit wenig Geld häufig fehlen. Deshalb gehört ein gemeinsames Essen zu jedem Seminar dazu. Ziel ist, neue Rezepte und Zubereitungsideen zu vermitteln, aber auch ein Beisammensein, den Austausch und das Knüpfen neuer Kontakte zu ermöglichen. Menschen, die von Armut betroffen sind, haben häufig nicht die finanziellen Mittel für Café-Besuche im Freundeskreis oder Einladungen nach Hause. Manche schämen sich auch für ihre Wohnverhältnisse. Die Folge ist oft Einsamkeit.
Deshalb organisiert ein Großteil der Tafeln neben der Lebensmittelausgabe weitere Angebote für ihre Kundinnen und Kunden. Diese reichen von Seniorencafés über Spielenachmittage bis hin zu speziellen Angeboten für Kinder und jugendliche, beispielsweise Hausaufgabenbetreuung oder Angebote zur kulturellen Bildung. An einigen Tafeln gibt es regelmäßig einen Mittagstisch: Nach der Lebensmittelausgabe sind die Gäste zu einem warmen Essen in Gemeinschaft eingeladen.
Um dieses Angebot überall zu etablieren, unterstützt IN FORM die Tafeln dabei, ihren Mittagstisch vor Ort weiter auszubauen und das Speisenangebot gesundheitsförderlicher auszurichten. Tafeln, die noch keinen Mittags- oder Abendtisch anbieten, das aber künftig tun wollen, erhalten beim Aufbau fachliche Unterstützung. Die Tafel-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiter können außerdem an Schulungen zur Hygiene, zu einem gesundheitsförderlichen Speisenangebot sowie zur Zubereitung teilnehmen.
Für Nachhaltigkeit
Durch die Bildungsarbeit und den Aufund Ausbau von Mittags- und Abendtischen leistet das Projekt einen wichtigen Beitrag zur Nachhaltigkeit: So lernen die Tafel-Gäste in Ernährungsbildungsseminaren neue Lebensmittel kennen und erfahren, wie sie diese zubereiten können. Auch für die Zubereitung der Mittags- und Abendtische dienen unter anderem Lebensmittel der Tafel. Ziel ist immer, dass Lebensmittel, die in der Vergangenheit aus Unwissenheit oder Unkenntnis liegengeblieben sind, ihren Weg in die Köpfe und später in den Einkaufskorb, den Kochtopf und auf die Teller der Tafel-Gäste finden.