Fotos: Fabian Catoni
Am 21. März 2024 veranstaltete die Tafel-Akademie zusammen mit dem Christlichen Jugenddorfwerk Deutschlands, kurz CJD, den Fachtag „Heute Zukunft gestalten: Für eine gerechte und vielfältige Gesellschaft“ in Dresden. Im Rahmen der Internationalen Wochen gegen Rassismus richtet das Projekt MOTIV die Organisation der Veranstaltung aus. Ziel der Kooperation war, zu einer gerechten und vielfältigen Gesellschaft beizutragen und eine lebendige Demokratie zu fördern. In Panels, Workshops und im gemeinsamen Austausch standen Themen wie Populismus, soziale Ungleichheit und Teilhabe im Fokus.
Es ist ein trüber Morgen in Dresden, doch bunt erstrahlt der Schuppen A vor der Elbkulisse. Im Hintergrund schippert das CVJM-Schiff auf dem Wasser. An diesem außergewöhnlichen Ort treffen sich am 21. März Interessierte und Engagierte der Tafeln sowie des christlichen Jugenddorfwerk Deutschlands. Sie wollen sich über Vielfalt in ihrem Engagement austauschen und Kontakte knüpfen. Die rund 70 Besucher:innen gehen offen aufeinander zu und fangen direkt nach ihrer Ankunft erste Gespräche an.
Zu Vielfalt ermutigen, für Demokratie vernetzen
Ein digitales Grußwort der Thüringer Ministerin Doreen Denstädt eröffnet den Fachtag. Als Botschafterin der diesjährigen Internationalen Wochen gegen Rassismus würdigt sie das Engagement der Tafeln und des CJD als „von unschätzbarem Wert für die Gesellschaft“ und „Säulen des sozialen Zusammenhalts“ inmitten einer Zeit, in der die immer größer werdende Kluft zwischen Arm und Reich und die damit verbundenen Spannungen die Gesellschaft mehr auseinanderbringen.
Ihr unermüdliches Engagement und Ihre Hingabe haben dazu beigetragen, dass Sie zu einem Leuchtturm der Hoffnung und der positiven Veränderung in unserer Gesellschaft geworden sind.
Doreen Denstädt, Ministerin für Migration, Justiz und Verbraucherschutz und Beauftragte gegen Antiziganismus und für das Leben der Sinti und Sintizze sowie Roma und Romnja in Thüringen
Danach begrüßt Marco Koppe die Teilnehmer:innen. Der Geschäftsführer der Tafel-Akademie und Tafel Deutschland findet deutliche Worte, um zu sagen, dass die Tafeln „für Demokratie, Vielfalt und interkulturellen Austausch“ stehen. Er schätzt „Vielfalt nicht nur [als] eine Bereicherung, sondern eine Grundlage für eine demokratische und gerechte Gesellschaft.“ Mit lobenden Worten erwähnt er das Projekt MOTIV, das „schon seit Jahren ein wichtiger Baustein“ im Einsatz des Dachverbandes gegen Rassismus und Ausgrenzung“ ist. Voller Tatendrang blickt er auf den Tag:
Wir wollen Bündnisse bilden, uns unterstützen und uns gegenseitig Mut machen.
Marco Koppe, Geschäftsführer Tafel-Akademie und Tafel Deutschland
Nachdem er die Podiumsgäst:innen herzlich willkommen heißt, schließt sich Stoyan Dimitrov an, der Gesamtleiter des CJD in Sachsen und Thüringen. Er berichtet von seiner eigenen Abenteuerreise, die vor 23 Jahren auf dem Weg von Bulgarien nach Dresden begann. Es waren die Offenheit, das Interesse, die Akzeptanz und das Wohlwollen der Gastfamilie, welche ihm wichtige Stütze bei der Ankunft im fremden Land waren. Heute trägt er diese wertvollen Erfahrungen mit seiner Arbeit selbst an junge Menschen weiter und vermittelt ihnen diese Werte.
„Mit dieser Veranstaltung heute wollen wir ein starkes Zeichen setzen für Demokratie, Vielfalt und soziale Gerechtigkeit.“
Stoyan Dimitrov, Gesamtleiter des CJD in Sachsen und Thüringen
Danach wird das Publikum aktiv. Mithilfe eines Mentimeters geben die Teilnehmer:innen an, woher sie angereist sind. Aus dem ganzen Bundesgebiet sind Menschen aus Sachsen, Thüringen, Sachsen-Anhalt, auf dem weitesten Anreiseweg aus Bayern, Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen, Berlin, Hessen und Niedersachsen gekommen. Ein digitales Stimmungsbild holt die Erwartungen der Teilnehmer:innen an die Veranstaltung ein. Groß an die Wand projiziert erscheinen Worte wie gemeinsam, Ermutigung, Stärkung, Vernetzung, Austausch, Perspektiven, Anregungen und geben so eine Aussicht auf den Tag.
Was stärkt den gesellschaftlichen Zusammenhalt?
Einen wissenschaftlichen Einlick vermittelt Soziologin Clara Dilger vom Forschungsinstitut Gesellschaftlicher Zusammenhalt in Leipzig. Sie spricht zu den Themen Zusammenhalt und Spaltung, im Hinblick auf die Frage: Leben wir in Blasen und was hat das mit Zusammenhalt zu tun?
Zunächst stellt sie vor, was Blasen sind und dass Menschen sich meist sehr homogen in diesen Gruppen zusammenfinden, sich also sehr ähnlich sind. Gelegenheitsstrukturen verfestigen als soziale Orte wie Schule oder Nachbarschaft diese Blasen. „Sie scheinen sich dort zu sortieren“, sagt sie. Diese Gruppen entfernen sich voneinander – sie entkoppeln sich, wie es in der Fachsprache heißt. Mit Umfragewerten macht sie deutlich, dass die Entkopplung besonders auf politischer Ebene stattfindet. Bei Menschen, die in Blasen leben, ist die Polarisierung stärker, nicht nur in politischer Hinsicht.
Clara Dilgers Fazit: Es gibt nicht zwei stark voneinander getrennte Lager in der Gesellschaft, die nicht mehr miteinander sprechen. Die Gesellschaft fällt auch nicht in kleinere Gruppen auseinander, die komplett voneinander abgekapselt sind. Jedoch sind Tendenzen zu erkennen. Und das wirkt sich negativ auf den gesellschaftlichen Zusammenhalt aus, schließt sie ab.
Nach diesem Impuls nimmt Clara Dilger Platz auf dem Podium. Dort diskutiert sie mit weiteren Expert:innen aus der Wissenschaft und Zivilgesellschaft über Herausforderungen und Strategien zur Stärkung des gesellschaftlichen Zusammenhalts. Mit dabei waren:
- Gerardo Palacios Borjas, Bündnis gegen Rassismus
- Dr. Joachim Rock, Paritätischer Gesamtverband e. V.
- Petra Schickert, Kulturbüro Sachsen
- Annette Siegert, Netzwerk #ichbinarmutsbetroffen.
Frau Siegert erhält die erste Frage dazu, wie sie die aktuellen Herausforderungen in ihrem Alltag als armutsbetroffene Person wahrnimmt. Sie berichtet, dass sie auf Veranstaltungen wie diesem Fachtag viel Wertschätzung erfährt, während sie auf dem Amt, wo sie Sozialhilfe beantragt, völlig anders behandelt wird. Prompt schlägt sie vor, dass es mehr Gelegenheiten geben sollte, bei denen armutsbetroffene Menschen aus ihrer Bubble herauskommen können.
Gerardo Palacios Borjas erlebt gesellschaftliche Spaltungen als alltäglich. Er berichtet, dass seinen Mitmenschen schon Vorurteile in den Kopf kommen, wenn sie seinen Namen hören – positive wie auch negative. Bei manchen Menschen erlebt er es als Skepsis, die besonders in Hinsicht auf die Landtags- oder Europawahlen in Hass und Wut umschlägt. Petra Schickert berichtet von einem extremen Rechtsruck in der Gesellschaft:
Die Strategie der Selbstverharmlosung der Rechten ist leider aufgegangen. Es sind Dinge sagbar geworden, die ich mir vor 10 oder 15 Jahren noch nicht als sagbar vorgestellt habe.
Petra Schickert, Kulturbüro Sachsen
Sie spricht sich dafür aus, Haltung zu zeigen: Wer öffentlich Diskriminierung und Rassismus wahrnimmt, sollte dem besonders als nicht-betroffene Person etwas entgegensetzen, auch ohne sich in der eigenen Argumentation sicher zu sein. Hauptsache, man sagt „Stopp“ und tritt gegen Diskriminierung ein.
Dr. Joachim Rock fasst den Kern der rechten Ideologie als Ideologie der Ungleichwertigkeit zusammen, bestärkt durch die aktuelle soziale Schieflage. Er sagt, dass wenn soziale Ungleichheit abgeschafft werden würde, es keinen Nährboden mehr für rechte Ideologien gäbe. Das Podium diskutiert weiter, wo strukturelle Ungleichheit abgebaut werden kann und berichtet, was in den heutigen Zeiten Mut und Hoffnung macht. Im Anschluss ist Raum für die Erfahrungen und Fragen aus dem Publikum.
Die kommenden Programmpunkte läuten den aktiven Teil des Tages ein. Während des World-Cafés setzen sich die Teilnehmer:innen in kleineren Gruppen noch tiefer mit den Themen soziale Ungleichheit, Armut, Rassismus und Populismus auseinander. Nach einer Mittagspause auf dem Schiff geht es dann in drei unterschiedliche interaktive Workshops, für die sich die Teilnehmer:innen im Vorhinein entschieden haben.
Gemeinsames Lernen in Workshops
In kurzen Zusammenfassungen bekommen alle Teilnehmer:innen nach den Workshops einen Eindruck der dort behandelten Themen. Der Workshop zu „Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit erkennen und handeln“ von Petra Schickert beginnt mit einem Vortrag zu menschenfeindlichen, rassistischen und neonazistischen Einstellungen, Aktivitäten und Akteur:innen in Sachsen. Im Anschluss bespricht die Gruppe vier Fallbeispiele, um die Handlungskompetenz im Umgang mit bestimmten Situationen zu stärken. Ein wichtiges Fazit aus dem Workshop ist, dass man diese Themen nicht unter den Teppich kehren sollte. Die Organisationen sollten sich in der Verantwortung fühlen, Probleme, die auftauchen, zu benennen, transparent zu sein und aufzuklären und sich Hilfe zu suchen.
Die Themen Diversität, Vielfalt und das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz standen im Workshop „Rassismuskritische Arbeit in der Praxis“ im Fokus. Um noch besser rassismuskritisch zu arbeiten, hilft Vernetzung mit Beratungsstellen und Bündnissen wie dem gegen Rassismus. Die Referent:innen schildern weiter, dass auch das Bundeskanzleramt rät, dass Communitys sich untereinander beraten und sich so befähigen, für sich selbst einzusetzen.
Im dritten Workshop zu „Armut und sozialer Ungleichheit“ wertet Dr. Joachim Rock vom Paritätischen Gesamtverband sensibel statistische Präsentationen aus. Er zeigt, dass nicht immer alles faktengetreu visualisiert wird. So werden Arm und Reich auch gegeneinander ausgespielt. Er stellt unterschiedliche Steuerlasten dar, die teils erdrückend sind für armutsbetroffene Personen. Das Thema wird so auch ein emotionales. Allerdings macht es den Teilnehmer:innen Hoffnung, so sagen sie, dass sie fortan mit Argumenten und Fakten ausgestattet in Diskussionen und Gesprächsrunden gehen können.
Neue Impulse und Informationen mit nach Hause nehmen
Zum Abschluss zeigen Stimmungsbilder nochmals, dass die Gäst:innen mit wertvollen Impulsen ausgestattet wurden. Ihnen ist wichtig, aufzustehen gegen Populismus, Haltung zu zeigen und sich untereinander zu vernetzen. Sie haben voneinander lernen können, wie auch Elisa Meyer vom CJD bestätigt. Ihr Highlight war der Austausch mit all denen sie ins Gespräch gekommen ist. Sie selbst nimmt eine neue Perspektive auf das Thema Armut mit. Es ist aber auch wichtig, dass der Effekt solcher Veranstaltungen nicht verpuffe, sagt sie, indem mehr Gelegenheiten für Vernetzung und Austausch geschaffen werden, um Rassismus etwas entgegensetzen zu können.
Sie ist sich einig mit Marco Koppe, der ebenso fordert, dass aktiv Maßnahmen ergriffen werden und dass Handlungen folgen. Seiner Meinung nach reiche das gesprochene Wort nicht mehr aus. Er freue sich darüber, wie viele Menschen an diesem Tag zusammengekommen sind, um Verantwortung für die Gesellschaft zu übernehmen. Zum Abschluss betont Marco Koppe, wie wichtig es sei, im demokratischen Diskurs zu bleiben und offen für Menschen zu sein, die noch nicht in einer rechten Richtung festgefahren sind. Mit motivierenden und hoffnungsvollen Worten entlässt der Fachtag die Besucher:innen gestärkt und informiert nach Hause.
Die Tafel Deutschland setzt sich aktiv gegen Ausgrenzung und Rechtsextremismus ein und hat dazu eine Stellungnahme veröffentlicht. Lesen sie dazu hier weiter!