© Navina Neuschl
Tafel Deutschland hat eine neue und erstmalig doppelte Geschäftsführung: Sirkka Jendis und Marco Koppe teilen sich die Aufgabe künftig und wollen die Tafeln gestärkt in die Zukunft führen. Wir haben mit den beiden über die Herausforderungen der kommenden Jahre gesprochen, über die Frage, wie der Dachverband die Tafel-Aktiven unterstützen kann und darüber, was sie persönlich antreibt.
Marco, du bist 2014 als Referent für Bildung zur Tafel-Familie gekommen, hast die Tafel-Akademie mit aufgebaut und bist auch deren Geschäftsführer. Privat engagierst du dich ehrenamtlich in der christlichen Kinder- und Jugendarbeit. Was treibt dich an?
Marco Koppe: Das Motto der Tafel-Akademie heißt: Wissen teilen. Menschen stärken. Daran glaube ich und dafür arbeite ich. Ich möchte als Pädagoge diejenigen Menschen stärken und unterstützen, die sich für andere einsetzen und Gutes tun. Menschen entfalten ihre Potenziale, wenn man sie machen lässt, ihnen Anerkennung und Vertrauen entgegenbringt. Es braucht aber auch ganz konkrete und bedarfsgerechte Unterstützungsangebote. Ehrenamtliches Engagement kann sehr kräftezehrend und herausfordernd sein. Das haben wir besonders während der Pandemie gemerkt. Als Dachverband möchten wir den Aktiven vor Ort ihre Arbeit so gut es geht erleichtern. Das treibt mich an, denn so kann Gutes weiter wachsen.
Sirkka, du warst zuletzt als Vorständin für die Kommunikation beim Evangelischen Kirchentag verantwortlich. Seit Dezember 2021 dürfen wir dich im Tafel-Team willkommen heißen. Was hat dich an den Tafeln überzeugt?
Sirkka Jendis: Ich freue mich unheimlich, Teil der Tafel-Bewegung zu sein. Die Tafeln sind eine unglaublich starke und bekannte Marke mit einer Idee, die aktueller nicht sein könnte. Wir engagieren uns ökologisch und sozial. Die Kombination von Lebensmitterettung und Hilfe für Menschen finde ich einzigartig. Wir schützen unsere Ressourcen, indem wir sie nicht verschwenden, sondern dorthin geben, wo sie gebraucht werden. Das alles funktioniert, weil Menschen das Ungleichgewicht von Verschwendung und Armut nicht hinnehmen, sondern verändern wollen. Ich möchte meinen Beitrag dazu leisten, unsere Ehrenamtsbewegung für die Herausforderungen der Zukunft zu stärken.
Tatsächlich werden die Aufgaben der Tafeln immer aufwendiger. Welche Unterstützung kann der Dachverband leisten, wo drückt den Tafeln der Schuh?
Marco Koppe: In unserem Zukunfts- und Organisationsentwicklungs-Prozess haben die Tafeln als größte Herausforderungen für die Zukunft die Felder Logistik, Nachwuchs, Digitalisierung und Finanzierung genannt. Das sind große Themen. Wir merken, wie sich die rasanten Veränderungen unserer Welt auch auf die Tafel-Arbeit auswirken. Der Lebensmittelmarkt wird sich weiter verändern. In den Supermärkten bleibt durch Strategien des Handels glücklicherweise tendenziell weniger übrig. Bei den Lebensmittelherstellern hingegen fallen große Mengen Überschüsse an, die eine Tafel alleine nicht annehmen kann. Für uns wird es umso wichtiger, dass wir die Lebensmittelrettung weiter digitalisieren und unsere Logistik ausbauen, damit wir die Waren bedarfsgerecht und mit möglichst kurzen Transportwegen verteilen können. Dafür brauchen wir staatliche Unterstützung. In fast allen europäischen Ländern werden die dortigen Lebensmittelbanken gefördert – nur bei uns nicht, obwohl wir von der Bundesregierung gleichzeitig als wichtiger Partner bei der Reduzierung der Lebensmittelverschwendung genannt werden. Das finde ich absurd.
Das klingt nach vielen Veränderungen für die Tafeln und auch für die Helferinnen und Helfer persönlich.
Marco Koppe: Vieles funktioniert schon sehr gut. Das dürfen wir stärker anerkennen, darauf können wir bauen und uns weiterentwickeln. Wir müssen die gesamtgesellschaftlichen Entwicklungen wahrnehmen und uns fragen, was sie für uns bedeuten und sie dann in konkrete Unterstützungsmaßnahmen umsetzen.
Die Digitalisierung verändert auch ehrenamtliches Engagement und die Kommunikation. Während der Pandemie ist es bei den Tafeln selbstverständlich geworden, sich digital über Zoom zu treffen…
Marco Koppe: … und damit haben wir sehr positive Erfahrungen gemacht. Natürlich ersetzt eine Videokonferenz oder ein Chat keine persönliche Begegnung. Aber digital werden Treffen quer durch Deutschland manchmal überhaupt erst möglich. Es spielt keine Rolle, ob jemand in Flensburg oder am Starnberger See in einer Tafel aktiv ist – wir können uns kurzfristig miteinander austauschen. Bei 60.000 Tafel-Aktiven aus 960 Tafeln schlummert ein riesiger Erfahrungs- und Wissensschatz. Das Rad muss meistens nicht neu erfunden werden. Irgendjemand hat schon eine Lösung für die vielen ähnlichen Herausforderungen und Aufgaben.
Sirkka Jendis: Als Dachverband ist es uns wichtig, die Tafeln nicht nur mit Wissen und Informationen zu versorgen, sondern auch in den aktiven Austausch mit ihnen zu gehen sowie Austausch untereinander zu ermöglichen. In der Pandemie ist deshalb der Tafel-Treff entstanden. Auf dieser geschützten Website ermöglichen wir es erstmals allen Aktiven aus ganz Deutschland, sich miteinander digital zu vernetzen. Jede und jeder kann sich ein Profil anlegen und in Gruppen oder zu bestimmten Fragen diskutieren und Wissen teilen. Wir haben die Vision, dass auf dem Tafel-Treff mit der Schwarm-Intelligenz von 60.000 Tafel-Helferinnen und -Helfern viele Probleme gelöst werden und wir miteinander ein stärkendes Netzwerk bauen.
Das klingt nach Aufbruch. Mit welchem Gefühl blickt ihr in die Zeit nach der Pandemie?
Marco Koppe: Auch wenn sich viele langfristige Folgen der Corona-Krise erst noch zeigen werden, bin ich hoffnungsvoll und zuversichtlich angesichts so vieler engagierter Menschen. Und ich fühle auch eine Verantwortung. Die Verantwortung, dass wir uns als Verband an Veränderungen anpassen und bereit sind, uns selbst und unsere Strukturen kritisch zu hinterfragen, um mit vereinten Kräften an unserer Mission zu arbeiten: Lebensmittel retten und Menschen helfen.
Sirkka Jendis: Wenn die Pandemie eines gezeigt hat, dann doch, wie wichtig zivilgesellschaftliches Engagement für unser Land ist. Mich beeindruckt das sehr. Aus meiner Sicht muss das auch der Staat stärker anerkennen und die Zivilgesellschaft als echten Partner begreifen, den man verlässlich unterstützt und fördert. Das dürfen wir viel selbstbewusster einfordern und den Wert unseres Tuns für die Gesellschaft verdeutlichen.
Seien Sie mit dabei!
Sie sind in einer Tafel aktiv und möchten sich mit anderen Helferinnen und Helfern digital vernetzen? Dann melden Sie sich jetzt auf dem Tafel-Treff an: www.tafel-treff.de.
Dieser Beitrag erschien im Tafel-Magazin 2021.