Das Projektteam von „Tafel macht Zukunft“ zu Besuch bei der Tafel Lübeck

Uwe Escher vor der Tafel Lübeck

© Tafel Lübeck

Ein Vormittag im September in der Ausgabestelle der Tafel Lübeck am Kolberger Platz 1. Dort engagieren sich Menschen mit unterschiedlichen Erfahrungen, die keine Angst vor Herausforderungen haben. Menschen, die mit einer bewundernswerten Selbstverständlichkeit Hilfe anbieten. Viele Prozesse laufen digital – sowohl in den Ausgabestellen als auch beim Abholen der Lebensmittel. Uwe Escher, Vorstandvorsitzender der Tafel Lübeck, erzählt im Gespräch mit dem Projektteam von „Tafel macht Zukunft“, wie das Digitalisierungsprojekt der Tafel Deutschland die Arbeit der Tafel Lübeck verändert hat.

Wie lange bist du bei der Tafel Lübeck aktiv und wie begann deine Reise im Ehrenamt?

Der Klassiker: Ich bin in den Ruhestand gegangen und da fragte ich mich: „Was mache ich jetzt?” Also suchte ich nach neuen Aufgaben. Vorher war ich in einer hohen Position einer großen Krankenkasse tätig. In den Lübecker Nachrichten bin ich zufällig auf einen Artikel gestoßen, in dem die örtliche Tafel nach Ehrenamtlichen suchte. Kurz darauf habe ich mein Ehrenamt begonnen und ein paar Jahre lang mit zwei Kollegen im Fahrdienst unterstützt.

Wir haben die Märkte angefahren, Lebensmittel mitgenommen und sie zu den Ausgabestellen gebracht. Für mich war es besonders schön, einerseits selbst körperliche Arbeit zu leisten und zum andern auch etwas zu bewegen. Man hat gesehen wie wichtig das ist, was die Tafel macht. Das habe ich mit viel Freude gemacht.

Dann kam irgendwann die Frage, ob ich vielleicht auch für andere Positionen bereit wäre, Vorstand etc. Das habe ich erstmal nur zur Kenntnis genommen, da ich im Grunde solche große Verantwortung wie in meinem Berufsleben nicht mehr tragen wollte. Aber dann kamen die Anfragen doch immer wieder und ich wurde überzeugt. Ich habe den Schritt gewagt, um schließlich direkt zum Vorstandsvorsitzenden gewählt zu werden. Das mache ich jetzt seit gut einem Jahr.

Wie war dein Alltag im Fahrdienst?

Es war mir immer ein wenig suspekt, was wir als Fahrer:innen dokumentierten. Wir fuhren einen Markt an, sammelten etwas ein und dokumentierten es auf einem Lieferschein. Darin wurden die Mengen und weitere Informationen festgehalten, um schließlich sehr sorgfältig bei der Tafel abgelegt zu werden. Was danach mit den gesammelten Daten passiert, konnte im alltäglichen Dienst natürlich nicht hinterfragt werden.

Die Kolleg:innen nehmen die Lieferscheine in Empfang, um mit hohem Aufwand und gigantischen Papiermengen Zahlen zu ermitteln. Außer, dass die Tafel weiß, wie viel in einem Jahr oder Monat an Lebensmittel von A nach B transportiert wurde, wird daraus nicht abgeleitet. Der Aufwand ist dabei beträchtlich. Nichtsdestotrotz haben meine Kolleg:innen und ich uns oft darüber unterhalten, welchen Nutzen die Tafeln von dem, was wir erfassen, überhaupt haben. Es ergaben sich Spekulationen darüber, dass die Lieferscheine irgendwo zusammengefasst und analysiert werden. Genau wussten wir es aber nicht.

Als ich zum Vorstandsvorsitzenden gewählt wurde, hatte ich die Gelegenheit, genauer hinzuschauen, um mir konkret ein Bild davon zu machen, was mit den Lieferscheinen wirklich passiert. Es wurde mir relativ schnell bewusst, es passierte nicht das, was wir uns vorgestellt hatten. Deswegen habe ich mich mit dem Thema genauer auseinandergesetzt, bis ich dann zufällig von dem neuen Digitalisierungsprojekt „Tafel macht Zukunft“ von Tafel Deutschland erfuhr. Das Projekt lieferte Antworten und Lösungen auf unsere Fragen.

Wann und wo hast du das erste Mal von der eco-Plattform gehört?

Auf der Website von Tafel Deutschland bin ich auf das Projekt “Tafel macht Zukunft – gemeinsam digital” gestoßen und habe mich direkt mit der Ansprechperson in Verbindung gesetzt. Ich erfuhr, dass es noch die Möglichkeit gibt, einzusteigen. Zu diesem Zeitpunkt begann eine neue Gruppe die Schulung zur Einführung in die eco-Plattform. So sind auch wir, wenige Wochen später, spontan dazugestoßen und waren direkt mitten drin. Schon in diesem Moment war ich ganz fest davon überzeugt, dass das Projekt weniger Aufwand und gleichzeitig deutlich mehr Erkenntnisse bietet.

Was hat dich dazu bewegt, an dem Projekt teilzunehmen?

Ich möchte an dieser Stell gerne betonen, dass der ganze Lübecker Vorstand der Tafeln dazu beigetragen hat, dass wir das Digitalisierungsprojekt umsetzen konnten. In unserem Austausch sind häufig Fragen aufgekommen wie: „Wie viel Ware kriegt eigentlich welche Ausgabestelle an welchem Tag?“ Einige sagen, “wir haben zu wenig”, andere hingegen “es ist zu viel”. Wissen wir das eigentlich? Haben wir Steuerungspotenzial? Wo können wir diese Informationen einsehen und wie können wir sie auch nachhaltig bewerten?

Daraus sind einige Diskussionen entstanden und auch Informationsbedarf. Wir haben festgestellt: Mit den Mitteln, die wir aktuell haben, können wir nur sehr bedingt bis gar keine Antworten geben. Das hat dann natürlich gepushed und auch mir den Rückenwind gegeben zu sagen: Wenn es sowas gibt, wie “Tafel macht Zukunft”, dann müssen wir die Möglichkeit ergreifen.

Wie war die Einführung in die eco-Plattform? Wie seid ihr mit der Umsetzung umgegangen?

Wir waren uns bewusst, dass die Veränderung natürlich viel Überzeugungskraft und Geduld braucht. Den Kolleg:innen zu sagen, dass sie plötzlich mit einem Gerät ihre Aufgaben erledigen werden, kam nicht in Frage. Deswegen haben wir das Schritt für Schritt umgesetzt.

Unsere Ehrenamtlichen wurden zunächst allgemein darüber informiert, was wir überhaupt vorhaben und was es für sie bedeutet. Danach hat unsere Projektleiterin Inge Netz begonnen, mit den einzelnen Fahrer:innen die eco-Plattform zu testen. Sie haben ein Tablet bekommen und die ersten Erfahrungen gesammelt. Dadurch, dass Inge stetig mit dem Tafel-macht-Zukunft-Team in Kontakt war, konnten wir alle Sachen, die nicht so gut liefen, direkt weitergegeben. Die Anpassungen wurden auch direkt umgesetzt. Zu Beginn hatten wir zwar nur wenige Personen, die für das Thema offen waren. Mit der Zeit haben aber diejenigen, die die Software alltäglich nutzten, immer öfter erwähnt, dass es eine gute Sache ist.

Das war der entscheidende Punkt. Dass unsere Kolleg:innen in der Praxis selbst feststellen konnten: „So geht es schneller.” Das hat die Einführung der eco-Plattform vorangebracht. Man hat auch direkt die Vorteile der Nutzung gesehen: Man muss nicht ständig den Papierkram durch die Gegend tragen, die Mengenangabe ist leicht bedienbar, man spart Zeit. Die Ausgabestellen sind auch digitalisiert. Schon zu Beginn sagten einige Ehrenamtliche: „Warum haben wir es nicht schon früher gemacht?”

Wann genau habt ihr angefangen, die eco-Plattform zu nutzen?

Im Mai haben wir die Schulungsphase beendet. Die endgültige Umsetzung war im August 2022.

Was hat euch bei der Einführung der eco-Plattform geholfen?

Die ersten Schritte waren enorm wichtig. Wir wollten nichts überstürzen und sagen: “Ab Montag wird alles digital gemacht”. Das war nicht unser Ansatz. Unser Ansatz war immer Überzeugung durchs Probieren, sodass jede einzelne Person, die die eco-Plattform benutzt, merkt, dass die Tafel es auch wirklich braucht. Denn die Software ist sowohl auf der Vorstandsebene wichtig, als auch während der ehrenamtlichen Arbeit in den Ausgabestellen und im Fahrdienst.

Wir haben uns genug Zeit gegeben. Schritt für Schritt haben wir erlebt wie die Akzeptanz immer größer wurde. Aber das ist nicht vom Himmel gefallen. Wir haben den Prozess der Einführung wohl durchdacht. Ich, Inge Netz und meine Vorstandskolleg:innen waren uns von Anfang an sicher, dass man lieber ein Schritt mehr macht, und noch ein bisschen länger braucht, als zu schnell zu sein. Denn Veränderungen sind in jeder Organisation herausfordernd.

Drei ehrenamtliche Helfer:innen beim Sortieren der Lebensmittel in einer Ausgabestelle.
© Reiner Pfisterer

Was waren die größten Herausforderungen?

Man muss berücksichtigen, dass nicht jeder mit dem Thema Digitalisierung vertraut ist. Bei der Tafel gibt es Personen, die sehr offen für die Veränderungen und Technik sind. Und es gibt auch Personen, die sehr skeptisch sind. Das ist vollkommen normal. Skeptiker:innen zu überzeugen, ist schwieriger. Wir haben natürlich auch zahlreiche Ehrenamtliche, die z.B. keine Handys oder keine Laptops benutzten. Dass sie vorher auch Vorbehalte und Berührungsängste hatten, war selbstverständlich. Die Skepsis ist normal und völlig okay. Aber wir wollten alle gewinnen. Ich glaube, es ist uns ganz gut gelungen. Entscheidend ist die Anfangsphase. Jedes Problem muss ernst genommen werden. Auch, wenn die Fragen zunächst banal erscheinen. Man muss viel Zeit für Gespräche einplanen: Man muss miteinander reden. Bei uns gab es auch Widerstände. Uns war bewusst, wenn man die Bedenken der Ehrenamtlichen nicht berücksichtig, wenn man diese ignoriert, klappt die Umsetzung nicht.

Das “Tafel macht Zukunft”-Team bietet auch intensive Schulungen zur Einführung in die eco-Plattform an. Wie waren eure Erfahrungen hierzu?

Die Projektverantwortliche Inge Netz hat an den Schulungen regelmäßig teilgenommen und alles plausibel vermittelt. Sie hat die Fahrer:innen selber geschult. Die richtige Dosis an Informationen ist hierbei wichtig. Inge ist eine kompetente Person, die es einfach draufhat.

Wie ist die Akzeptanz bei den Händlern?

Die, die mit der Tafel ohnehin kooperieren, sind schnell am Start. Wir hatten niemanden, der nicht mitmachen wollte. Aber auch da gab es Vorabkommunikation. Wir haben natürlich angekündigt, was wir vorhaben. Mein Tipp: Immer gut informieren. Man muss auch beachten, dass die Märkte mit der Digitalisierung sowieso bereits stark konfrontiert sind. Es benötigte nicht so viel Überzeugungskraft.

Welche Probleme gab es am Anfang?

Es gab einige Stolpersteine wie Systemabsturz, falsche Dokumentation oder Akkuausfälle, weil man vergessen hat zu laden. Aber genau daraus haben wir gelernt. Von den Fahrer:innen kamen dann wertvolle Tipps zu dem, was noch angepasst werden kann und schließlich funktionierte alles immer besser und reibungsloser. Heute gibt es sehr hohe Akzeptanz.

Was ist dein Rat an die anderen Tafeln?

Austausch. Wenn man sich nicht austauscht, wird es nicht möglich sein. Es ist auch wichtig, dass man am Anfang die Ehrenamtlichen in die eco-Plattform einführt, die für dieses Thema offen sind – das sind die Implikatoren. Es braucht nicht nur Vorstände, die das Projekt toll finden, sondern auch alle Tafel-Aktiven, also Personen, die darüber berichten. Dann klappt es auch, denn das Projekt ist eine gute Sache. Die eco-Plattform, das System läuft wunderbar, da gibt es nicht viel zu verbessern: Es ist stabil, die Geräte funktionieren gut. Am Anfang gab es das ein oder andere Problem, aber aktuell läuft alles. Es klingt zwar alles schön und “Sonnenschein” aber es war wirklich so!

Meinst du, dass Digitalisierung eine immer größere Rolle im Bereich der Lebensmittelrettung spielen wird?

Ja, und ich kann nur jede Tafel ermuntern, sich zu digitalisieren – dringend. Weil genau das die Herausforderung der Zukunft ist. Die Warenmengen werden weniger. Die Märkte kalkulieren schon heute deutlich besser und möchten die Waren selbst nachhaltiger verteilen. Wenn wir aber aktiv optimieren, also alles was auch wirklich da ist optimal verwalten, können wir diese Themen bewältigen. Es wird immer mehr darum gehen, den richtigen Zeitpunkt der Abholung, den richtigen Ort und die richtigen Partner zu finden und anzufahren. Aus diesem Grund sollte man solche Tools nutzten, um es überhaupt zu erfahren, wer gerade Spenden verteilen kann. Manchmal ist es einfach der falsche Zeitpunkt.

Hier ein Beispiel aus unserem Alltag: Molkereiprodukte sind eine sehr kostbare Ware und der Mangel ist immer ein Thema. Irgendwann konnten wir durch die eco-Plattform beobachten, dass wir aber schlagartig und deutlich weniger als sonst bekommen haben. Woran lag es? Wir haben die gesammelten Daten und Mengen verglichen und sind auf unseren Händler zugegangen, um sich mit ihm über die Auswertung der Digitalen Lieferscheine auszutauschen. Es hat sich herausgestellt, dass die Molkereiprodukte für uns da waren, aber woanders gelagert wurden. Hätten wir die Informationen über die eco-Plattform nicht beobachtet, hätten wir es nicht so schnell oder vielleicht gar nicht feststellen können. Denn über die Software haben wir einen sehr guten Überblick darüber, welche Lebensmittel wirklich gesammelt werden. Diese Informationen sind jetzt schnell zu finden und einfach gut zugänglich. Das schafft Transparenz. Vorher hätten wir das nicht gemerkt, nicht verfolgt und nur gejammert. Wir wollen nicht jammern, sondern unsere Ressourcenverteilung beobachten, analysieren, optimieren.

Was bedeutet die Digitalisierung konkret für dich als Vorstand und deine Tafel?

Natürlich ist seit der Nutzung der eco-Plattform nicht alles neu. Aber wir haben nun eine Menge an Daten, über die wir uns Gedanken machen können. Wir können ganz genau gucken, wie viel Ware sich auf welchem Wagen aktuell befindet. Somit sind wir flexibler und können ganz kurzfristig umdisponieren. Wenn die Ausgabestelle A oder B mehr braucht, können wir direkt reagieren und mit dem anderen Fahrzeug eine neue Route planen. Das ist ein hohes und wertvolles Maß an Flexibilität. Der nächste Schritt ist, die Daten zu analysieren und daraus Erkenntnisse zu ziehen.

Wir können unsere Prozesse viel zielgerichteter steuern. Wenn ein Markt plötzlich nur noch die Hälfte und schlechtere Ware anbietet, reagieren wir darauf. Oft erfahren wir, dass wir bei dem Markt einfach zum falschen Zeitpunkt vorbeikommen. Man einigt sich auf einen anderen Tag. Es kommen neue Ressourcen dazu, obwohl man weiß, dass die Ware allgemein weniger wird. An solchen Situationen sieht man, dass man die Ressourcen einfach besser nutzen kann. Auch in den Ausgabestellen werden bekanntermaßen zahlreiche Listen geführt, viele wichtige Daten müssen sorgfältig dokumentiert werden. Der administrative Teil in den Ausgabestellen hat sich mit der Digitalisierung für beide Seiten – für die Kund:innen und die Tafel-Aktiven deutlich verkürzt. Aber auch diese Prozesse erfordern Zeit.

Tafel macht Zukunft – gemeinsam digital

Auf dem Bildschirm eines Tablets ist die eco-Plattform geöffnet.
© Philip Wilson

Das Innovationsprojekt „Tafel macht Zukunft – gemeinsam digital” wurde 2019 ins Leben gerufen, um die Alltagsprozesse der Lebensmittelrettung durch digitale Ansätze zu erleichtern und eine bessere Vernetzung von Tafeln und Lebensmittelspender:innen zu ermöglichen.

Dank der engen Zusammenarbeit mit engagierten Tafeln sowie lebensmittelspendenden Unternehmen wurde eine Software – die eco-Plattform – entwickelt. Diese wird bereits deutschlandweit in Kooperation mit allen großen Einzelhandelspartnern von Tafeln eingesetzt.

Was macht die eco-Plattform aus?

Mit der Nutzung der eco-Plattform wird die Abgabe von Lebensmitteln an die Tafeln optimiert. Beginnend mit der Einführung digitaler Lieferscheine, über deren automatische Übermittlung an die Spender:innen bis hin zu den Auswertungen aller Touren und des Spendenverlaufs erweist sich die Plattform als hilfreiches Werkzeug. Zudem ermöglicht der separat nutzbare eco-Plattform-Marktplatz Tafeln die schnelle Verteilung und Weitergabe von Lebensmittelspenden untereinander.

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