Besuch bei der Tübinger Tafel: Ein ganz normaler Dienstag

Zwei Tafel-Helfer sortieren Kühlware in Kühlschränke ein. Im Vordergrund sind Weintrauben zu sehen.

Alle Fotos: Reiner Pfisterer

Wenn bei der Tübinger Tafel die TüTa Card gescannt wird, dann ist Einkaufszeit im Tafel-Laden. 300 Aktive sind für die Tafel im Einsatz, bereiten an fünf Wochentagen die Ausgabe vor, holen Lebensmittelspenden ab, sortieren Obst und Gemüse und laden die Transporter aus. Seit ihrer Gründung 1998 hat sich die Zahl der Kundinnen und Kunden vervierfacht.

„Dienstag ist mein Tafel-Tag“, sagt Gerda Scheytt und knotet die orangene Schürze mit dem weißen Tafel-Logo hinter ihrem Rücken zu. „Ich freue mich jede Woche darauf, mit anzupacken und auf alle, die hier mithelfen. Wir sind eine schöne Gemeinschaft.“ Am Tisch im hinteren Bereich des Tafel-Ladens in Tübingen wird um 8:30 Uhr schon fleißig aus- und umgepackt und Gemüse und Obst sortiert. Rund 2.000 Personen in 800 Haushalten unterstützt die Tübinger Tafel mit Lebensmitteln. Fast die Hälfte davon sind Kinder. Etwa 300 Aktive sorgen dafür, dass alles reibungslos klappt. „Wir sind gut eingespielt und haben endlich genug Platz“, sagt der erste Vorsitzende, Reinhardt Seibert.

Neue Räume und eine gute Organisation

Seit die Tübinger Tafel 2018 ihre neuen Räume bezogen hat, gibt es keine langen Warteschlangen mehr und auch für die Ehrenamtlichen hat sich die Lage entspannt. Auf dem ehemaligen Güterbahnhofgelände ist ein Tafel-Laden mit 270 m² Fläche entstanden. „Ein richtiger und wichtiger Schritt“, sagt Vorstand Seibert. Denn die Tafel, die 2023 ihr 25-jähriges Jubiläum feierte, ist stetig gewachsen. „Im ersten Jahr waren es 258 Haushalte und 643 Kundinnen und Kunden, die zu uns kamen, 2022 waren es bereits 1.200 Erwachsene und 930 Kinder.“

Für Kundinnen und Kunden hat die Tafel von Montag bis Freitag an fünf Nachmittagen geöffnet, an Samstagen werden zusätzlich Waren von Händlern und Supermärkten abgeholt. Die Aktiven sind in einer Art Schichtsystem im Einsatz. „An Öffnungstagen sind rund sechs Aktive im Fahrdienst tätig, zehn bis zwölf in der Vorbereitung, neun in der Ausgabe und eine Person an der Kasse“, erklärt Seibert. Zwei Engagierte übernehmen den noch recht neuen Lieferservice für Menschen, die nicht so mobil sind.

Gute Laune hilft beim Sortieren

Klicken Sie auf den unteren Button, um den Inhalt von www.tiktok.com zu laden.

Inhalt laden

„Das System hat viele Vorteile“, sagt Gerda Scheytt, die schon seit 14 Jahren bei der Tafel aktiv ist. In ihren jeweiligen Schichten treffen sich meist die gleichen Aktiven. „Wir haben uns richtig gut angefreundet“, sagt Scheytt.

Auch Ulla Gleber, Annelind Künstle und Rose Körner gehören zum Vorbereitungsteam. Die Frauen erzählen, lachen und tauschen Persönliches aus, während sie die Lebensmittel sortieren. An diesem Dienstag gibt es palettenweise Champignons. Routiniert nehmen die Ehrenamtlichen die Folie von der Verpackung und schütten die Pilze aus den Plastikschälchen auf den Tisch. Gezielt werden die Champignons, die nicht mehr zum Verkauf geeignet sind, vom Tisch gepickt und in die Biotonne befördert. Alle anderen wandern wieder in kleine Behälter für den Tafel-Laden.

Rose Körner kontrolliert das Mindesthaltbarkeitsdatum auf den Päckchen mit süßen Crêpes. „Es ist schade, dass so viel weggeschmissen wird“, ärgert sich die Rentnerin. „Vieles ist noch essbar und landet einfach im Müll. Es ist gut, dass wir bei der Tafel genau diese Lebensmittel retten und dass alles verwertet wird.“

Auch Salate, Kohlrabi, Wirsing und Möhren stehen zum Sortieren bereit. Was als gut befunden wird, landet in den Verkaufsregalen im vorderen Ladenlokal. Ungenießbare Lebensmittelreste werden anschließend in die Biogasanlage transportiert.

„Es landet noch immer zu viel im Müll”

Während die einen noch fleißig sortieren, bringt Annika Condit schon die nächsten Lebensmittel in den Laden. Die 31-Jährige ist seit drei Jahren bei der Tafel aktiv und macht jeden Dienstag die Tour mit dem eVito Transporter. „Ich fahre erst den Biomüll weg, dann Papier und Plastik und dann geht‘s zum Metzger, Bäcker und Discounter.“ Weitere Stopps sind ein Bioladen und ein Drogeriemarkt. „Da gibt es manchmal Babynahrung oder auch Lesebrillen“, sagt die junge Aktive, die hauptberuflich im Rettungsdienst tätig ist. 2022 hat sie in der Zeitung gelesen, dass die Tübinger Tafel ehrenamtliche Unterstützung sucht. „Da ich jeden Dienstag frei habe, helfe ich gern für vier, fünf Stunden mit.“

Auf ihrer Tour sortiert Annika Condit bei den Lebensmittelhändlern schon ein wenig vor. Was die junge Frau am meisten ärgert: „Ich finde oft Sachen im Müll, die noch gut essbar wären. Wir brauchen unbedingt noch größere Aufklärung, was das Mindesthaltbarkeitsdatum angeht. Gerade bei Molkereiprodukten.“


Wofür die Tafel steht, kann ich voll und ganz unterstützen. Wir brauchen mehr soziale Gerechtigkeit und eine gute soziale Absicherung für alle Menschen.

– Hermann Lutz, Freiwilliger

Joghurt, Milch, Käse und Wurst verstaut das Team in den drei großen Kühlschränken, der Rest kommt in den Kühlraum. In der Tafel-Küche ist Hermann Lutz im Einsatz. Fleischwurst und Leberkäse werden portioniert und vakuumiert, Würstchen in familienfreundliche Portionen abgepackt und ebenfalls luftdicht versiegelt. Handschriftlich notiert er das Verbrauchsdatum auf den Verpackungen.

Seit Januar 2023 ist der ehemalige Mercedes-Mitarbeiter für die Tafel im Einsatz. „Ich bin hier in eine ganz neue Welt eingetaucht“, sagt der Rentner. „Es ist toll, etwas Sinnvolles zu tun und zu sehen, wie die Hilfe direkt ankommt.“ Aber nicht nur Hilfe vor Ort ist ihm wichtig. „Auch das, wofür die Tafel steht, kann ich voll und ganz unterstützen. Wir brauchen mehr soziale Gerechtigkeit und eine gute soziale Absicherung für alle Menschen.“ Dass so viele Menschen zur Tafel kommen, damit hat Lutz nicht gerechnet. „Es ist traurig, dass es in unserem Land so viele Menschen gibt, bei denen es nicht zum Leben reicht.“

Ökologisch handeln und sozial helfen

Dienstags öffnet der Tafel-Laden um 14:30 Uhr seine Türen. Kurz nach 14 Uhr haben sich schon die ersten Kundinnen und Kunden im Warteraum eingefunden. Für den Einkauf ist eine TüTa Card notwendig, die die Tafel ausstellt. Berechtigt für den Einkauf bei der Tafel sind Menschen, die Sozialleistungen beziehen und vom Landratsamt eine KreisBonusCard erhalten haben. Mit diesem Nachweis kann man sich bei der Tübinger Tafel anmelden und erhält dann die TüTA Card mit Lichtbild und Kundennummer. Die Kundenummer legt auch fest, zu welcher Zeit und an welchem Tag bei der Tafel eingekauft werden kann. „Jeder Haushalt bekommt einen Slot von 15 Minuten zum Einkaufen“, erklärt Günter Gauglitz. „Damit es gerecht zugeht, rotieren wir wöchentlich.“ Die passenden Termine zur Kundennummer sind auf der Website der Tafel zu finden. Rund 100 Haushalte sind es im Durchschnitt, die an einem Tag zum Einkauf eingeteilt sind.

Willi Egeler ist für die Hygiene im Tafel-Laden zuständig und wartet auf die Öffnung der Tafel-Ladentür. Der gelernte Informatiker hilft einen Tag in der Woche bei der Vorbereitung und einen Tag in der Ausgabe. „Wir versuchen im Laden immer eine gute Atmosphäre zu schaffen.“ Der freundliche Umgang miteinander ist den Tafel-Aktiven wichtig. „Es geht nicht nur um die Lebensmittel, sondern auch um einen guten Kontakt.“

Gespräche, die ans Herz gehen

Auch Elisabeth Skaletzka, die seit knapp zwei Jahren bei der Tafel mithilft, weiß, wie wichtig ein offenes Ohr ist. „Bei der Ausgabe kommt man ins Gespräch und erfährt von den Schicksalen der Menschen. Das sind Geschichten, die einem ans Herz gehen, bei den älteren Kundinnen und Kunden ist Vereinsamung ein Thema.“ Bei der Tübinger Tafel gibt es neben Lebensmitteln auch Zuspruch, Ermutigung und ein Lächeln. Was Elisabeth Skaletzka besonders wichtig ist: „Die Menschen, die zu uns kommen, freut es, dass sie als Kundinnen und Kunden mit Respekt behandelt werden, sie haben leider oftmals andere Erfahrungen gemacht.“

Eine der Kundinnen ist Milena Sander (Name auf Wunsch der Kundin geändert). Seit ihre Tochter auf die Welt gekommen ist, besucht die Studentin regelmäßig die Tafel. „Ich bin sehr froh, dass es diese Möglichkeit gibt“, sagt die 29-Jährige. „Wir könnten uns ansonsten nicht so gesund ernähren.“ Milena Sander studiert Sportmanagement und hat einen Minijob. Ihr Mann geht arbeiten. Zudem erhält die Familie Wohngeld. „Aber durch die hohen Energie- und Lebensmittelkosten kommen wir nur knapp über die Runden.“ An der Tafel schätzt die junge Mutter, dass sie auch unbekannte Lebensmittel ausprobieren kann. „Es ist immer ein bisschen wie Weihnachten, man weiß nicht, was man an dem Tag bekommt.“ Durch die Tafel habe sie auch Pak Choi kennengelernt, ein Gemüse für asiatische Gerichte. „Das lieben wir jetzt alle in der Familie.“ Auch für ihre Tochter findet sie jedes Mal eine süße Überraschung. „Heute sind es Quarkbällchen.“

Als Kunde bei der Tübinger Tafel aktiv werden

Im neuen Tafel-Café sitzt Martin Allenstein mit seinem Einkauf und plaudert mit den Tafel-Aktiven, die Kaffee und Plätzchen auf den Tisch stellen. Aus gesundheitlichen Gründen konnte der selbständige Tischler seinen Beruf nicht mehr ausüben. „Und das Geld vom Amt reicht hinten und vorn nicht“, sagt der Mann mit den langen blonden Haaren. „Ohne die Tafel würde ich nur billige Spaghetti und Tomatensauce aus der Dose essen.“

Die hohen Lebensmittelpreise und die gestiegenen Energiekosten machen vielen Tafel-Kundinnen und -Kunden schwer zu schaffen. „Wer vorher vielleicht noch knapp ausgekommen ist mit seinem Geld, der schafft das heute nicht mehr“, weiß Allenstein. „Ich bin froh, dass es die Tafel gibt. Sie hat mich wieder zum richtigen Kochen gebracht.“ Seit vielen Jahren übernimmt er an einem Tag einen Fahrdienst und holt Lebensmittel von Händlern ab. „Ich wollte selbst etwas tun“, sagt Allenstein. Es sind einige Aktive bei der Tafel, die selbst Kundinnen und Kunden sind.

Auch Ludmilla Melchior, die ehemalige Bauingenieurin aus Kasachstan, arbeitet in der Ausgabe mit. „Ich habe bei meiner Ankunft in Deutschland nur eine Arbeit als Reinigungskraft gefunden, da reichte das Geld nicht zum Leben. Jetzt bin ich in Rente, habe zwar kein Geld, aber Zeit.“ Als nach dem Angriffskrieg auf die Ukraine die Kundenzahlen rasant anstiegen, war sie zur Stelle. „Ich spreche Russisch und konnte für die Menschen aus der Ukraine übersetzen.“ Vieles musste Ludmilla Melchior erklären, auch dass die Tafel keine Vollversorgung bietet.

Sozialleistungen reichen nicht aus

Als die Kundenzahlen anstiegen und gleichzeitig die Lebensmittelspenden zurückgingen, musste die Tübinger Tafel die Neuaufnahmen begrenzen und auch die Lebensmittel portionieren. „Das war schwer, wir hätten gern allen mehr gegeben“, sagt der Vorsitzende Reinhardt Seibert.

Heute ist die Tübinger Tafel durch erfolgreiche Spenden- und Sponsoringaktionen wieder gut aufgestellt. Die gesamte Entwicklung bereitet den Aktiven aber weiterhin Kopfzerbrechen. „Immer mehr Menschen kommen finanziell an ihre Grenzen. Die staatlichen Sozialleistungen reichen nicht aus, um die nötigen Ausgaben zu stemmen. Auch das soziale und kulturelle Leben bleibt dabei auf der Strecke“, sagt Seibert. Was den Vorsitzenden der Tübinger Tafel freut, ist das große Engagement der Freiwilligen. „Wir haben seit Corona auch mehr junge Menschen, die sich engagieren.“ 2020 wurde die Junge Tafel Tübingen gegründet, die eigene Aktivitäten und Freizeitangebote für Kinder organisiert und einen Instagram Account mit Leben füllt.

Gesunde Ernährung fördern

Im Tafel-Laden ist die letzte Einkaufsrunde angebrochen, um 17:40 Uhr wird die Tür geschlossen. Ein älteres Ehepaar packt Mehl, Zucker und Eier in den Einkaufstrolley, Zutaten für den Kuchen, den sie backen möchten. Eine junge Frau mit zwei kleinen Kindern legt Bananen und Birnen in ihre Einkaufstasche. Die Kinder ziehen sie zum Tresen, hinter dem heute im Regal neben den Cornflakes auch Schokolade liegt. An der Gemüsetheke werden noch Rezepte ausgetauscht. Gabriele Duncker, Schriftführerin der Tafel, reicht einen Blumenkohl über die Theke und für die junge Mutter einen frischen Salat. „Ich habe selbst Familie und weiß, wie wichtig eine gute Ernährung ist, gerade für Kinder.“


Dieser Beitrag erschien im Tafel-Magazin 2023.

Ähnliche Beiträge