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Stefan Jung, Prof. Dr. rer. pol., forscht, lehrt und berät zu den Themen Organisation und Führung an der CVJM-Hochschule in Kassel. Seit 2011 untersucht er die Tafeln und ihre Arbeit wissenschaftlich. Wir haben mit ihm über sein Buch „Zwischen Mitleidsökonomie und Professionalisierung – Tafeln in wirtschaftsethischer Perspektive“ gesprochen, das 2021 erschienen ist.
Sie haben gemeinsam mit Ihren Kollegen Alexander Dietz und Daniel Wegner von der Hochschule Hannover einen wissenschaftlichen Sammelband zur Tafel-Arbeit veröffentlicht. Was sind die Hauptthesen des Buches?
Das Buch ist eines der zentralen Ergebnisse eines Forschungsprojektes zum Thema „Ehrenamt“, das wir Autoren mit anderen Forscherinnen und Forschern in den vergangenen drei Jahren durchgeführt haben. Die Ergebnisse sind natürlich sehr vielschichtig, aber als ein zentrales Ergebnis zeigen wir auf, wie sehr sich die Tafel-Gemeinschaft in den letzten Jahren differenziert hat. Das klassische Ehrenamt verschiebt sich in Richtung Freiwilligkeit und bürgerschaftliches Engagement. Instrumente wie der Bundesfreiwilligendienst nehmen an Bedeutung zu und damit auch die finanziellen Kompensationen, die damit einhergehen. Tafel-Kundinnen und -Kunden übernehmen mitunter selbst mehr Verantwortung und die Tafeln werden als „Orte der Gemeinschaft“ und als Hilfestellung auf dem Rückweg ins Berufsleben immer wichtiger. Insbesondere der letzte Aspekt hat zur Folge, dass die soziale Arbeit wichtiger wird, weil etwa Ein-Euro-Jobber eingesetzt werden. Kurzum: Die verkürzende Unterscheidung von Ehrenamt und Hauptamt verstellt das Bild auf eine sehr bunte und ortsspezifische Tafel-Realität. Wir plädieren deshalb dafür, dass die Wissenschaft, aber auch der öffentliche Diskurs die Vielschichtigkeit der Tafel-Praxis noch besser zur Kenntnis nimmt.
Ein Thema des Sammelbandes ist die Professionalisierung der Tafel-Arbeit. Was sind Ihrer Meinung nach die Möglichkeiten und Herausforderungen der Professionalisierung?
Professionalisierung ist natürlich ein zwiespältiger Begriff. Manche denken sofort an Ökonomisierung oder hören fälschlicherweise, dass die freiwillig Engagierten unprofessionell und die hauptamtlichen Mitarbeitenden professionell arbeiten. Um es deutlich zu sagen: Das ist damit nicht gemeint. Unsere These ist, dass die Tafeln sich in den vergangenen Jahren stark in Richtung Verberuflichung, Standardisierung und Qualitätsverbesserung weiterentwickelt haben. Natürlich gibt es bei den 960 Tafeln in Deutschland große Unterschiede – je nach Landstrich, Trägerschaft oder Geschichte. Aber alle müssen sich heute an die Vorgaben des Lebensmittelrechts halten und sicherstellen, dass die Lebensmittelhygiene stimmt, Temperaturmonitoring in Kühlfahrzeugen und Lagern funktioniert und die Kühlketten eingehalten werden. Viele Tafeln gehen dazu über, das sogenannte „Regiepersonal“ mit Hauptamtlichen aus bestimmten Berufsgruppen wie der sozialen Arbeit zu besetzen – die machen dann nicht den Freiwilligen Konkurrenz, indem sie deren Aufgaben übernehmen, sondern sie schaffen Bedingungen, damit die Freiwilligen ihre Kompetenzen und Ideen einbringen können, ohne die die Tafeln nicht existieren könnten.
Sie sind seit 2011 mit den Tafeln vertraut und fungieren als Sprecher des wissenschaftlichen Beirats der Tafel Deutschland. Wie haben sich die Tafeln in dieser Zeit verändert?
Ein paar Stichworte habe ich ja mit der Professionalisierung oder den Verschiebungen im Ehrenamt bereits angedeutet. Viel wichtiger als diese Veränderungen der letzten Jahre ist für mich allerdings, wo sich die Tafeln immer wieder treu bleiben: Nach wie vor sind Tafeln Orte der Hoffnung für eine solidarische Gesellschaft. Mein Wunsch ist, dass sich das nicht ändert, sondern noch lange so bleibt.
Nach wie vor sind Tafeln Orte der Hoffnung für eine solidarische Gesellschaft.
Stefan Jung
Dieser Beitrag erschien im Tafel-Magazin 2021.