Foto: Nürnberger Tafel
Auch die Nürnberger Tafel meistert den Spagat: Eine Verdoppelung der Kundenzahl, weniger Spenden, steigende Spritkosten und eine große Belastung für die Aktiven. Mit ihrem Team stemmt Edeltraud Rager, Leiterin der Nürnberger Tafel, diese enormen Anforderungen. Wie sie das schafft, davon berichtet sie im Interview.
Was war die größte Herausforderung im Jahr 2022?
Das waren die vielen Menschen aus der Ukraine, die zu uns gekommen sind – weil alles so schnell ging. Auf einmal standen hunderte von Menschen bei uns im Hof, die unsere Unterstützung anfragten. Die Stadt hat die Menschen einfach zu uns geschickt. Zum Glück hatten wir unsere Küche fertig und haben an manchen Tagen bis zu 1.400 Essen ausgegeben, in einem Bereich, der eigentlich nur für 40 Kundinnen und Kunden ausgelegt ist. Das war wirklich Hardcore. Wir haben dann die Öffnungszeiten ausgeweitet, das war aber auch eine Belastung für unsere Aktiven, die nicht mehr jung sind und dann lange Tagesschichten hatten. Aber es ist irgendwie gegangen. Mittlerweile hat es sich etwas entspannt und eingespielt.
Wie hat sich die Lage bei der Nürnberger Tafel verändert?
Während wir Anfang des Jahres ungefähr 5.500 Kundinnen und Kunden hatten, sind es im Moment fast 11.000. Erst sind viele Geflüchtete aus der Ukraine zu uns gekommen, aber seit einigen Monaten merken wir, dass auch immer mehr Einheimische kommen. Menschen, die vorher knapp mit ihrem Geld ausgekommen sind und es jetzt nicht mehr schaffen. Was uns große Sorgen macht, sind die rückläufigen Lebensmittelspenden bei steigender Kundenzahl. Viele Supermärkte machen abends einen Abverkauf von Obst und Gemüse zu Sonderkonditionen. Das ist die Ware, die wir sonst am nächsten Tag abgeholt haben. Auch werden Bestellungen besser auf den Verkauf abgestimmt, sodass weniger übrig bleibt. Wenn wir nicht den Großmarkt von Nürnberg in unmittelbarer Nähe hätten und einen guten Kontakt zu den Bauern, bei denen wir auch ab und an Obst und Gemüse abholen, dann würden wir arge Probleme bekommen. In den letzten Jahren haben wir noch die Nachbar-Tafeln mit Obst und Gemüse versorgt, das können wir jetzt nicht mehr.
Wie hat Ihre Tafel auf die veränderten Bedingungen reagiert?
Wir informieren unsere Kundinnen und Kunden über die aktuelle Situation, das ist nicht leicht, denn bisher waren unsere Gäste es gewohnt, dass es viel gab. Jetzt müssen wir die Ausgaben rationieren, das ist manchmal grenzwertig, aber wir wollen ja, dass alle etwas bekommen und keiner leer ausgeht. Wir müssen dann immer wieder deutlich machen, dass wir ein zusätzliches Angebot sind und kein Grundversorger. Uns ist aber wichtig, den Menschen das Gefühl zu geben, dass sie für die zwei Euro, die sie zahlen, auch angemessen Waren bekommen. Was uns dabei hilft, ist die gut funktionierende Bundes- und Landeslogistik, da kann ich nur ein großes Dankeschön sagen. Über die bekommen wir von Erzeugern oder Großhändlern Ware. Das ist eine tolle Sache. Wir sind ja auch Verteilerzentrum und geben an kleinere Tafeln ab , da erleichtert es halt schon, wenn ich über den Landes- oder Dachverband zehn Paletten Minisalami bekomme, die ich weiter verteilen kann. Das gibt Sicherheit für einige Tage.
Wie gehen die Aktiven mit der aktuellen Situation um?
Viele unserer Aktiven sind schon lange dabei und haben das relativ gut im Griff. Sie wissen, was unten im Lager ist und wie viel man ausgeben kann, damit alle etwas bekommen. Unsere Ehrenamtlichen sind sehr engagiert, da muss man eher aufpassen, dass sie sich genug Auszeiten gönnen. Momentan ist die Stimmung noch gut, eher nach dem Motto „Wir schaffen das“. Viele denken, wir haben die Pandemie gemeistert, jetzt bekommen wir das auch noch hin. Aber wir achten auch sehr darauf, dass genug Pausen gemacht werden, und wir uns gegenseitig unterstützen. Denn: Wir arbeiten alle am Limit. Was mich freuen würde, und ich denke, das geht uns allen so, dass unsere Arbeit mehr wertgeschätzt wird, von Politik und Gesellschaft. Wir haben eine wichtige Aufgabe übernommen, da brauchen wir neben Spenden auch die nötige Anerkennung. Aber auch Mithilfe ist gefragt, momentan haben wir von Firmen immer mal wieder Gruppen da, die einen sozialen Tag oder eine soziale Woche machen und bei uns mitarbeiten, auch das entlastet.
Welche Auswirkungen haben die Teuerungen auf Ihre Tafel?
Wir zahlen nun weit mehr für alles. Wir haben sieben Fahrzeuge auf der Straße, also vier holen jeden Tag die Waren ab, dann haben wir Leergutfahrten und Sonderfahrten. Das Betanken von sieben Kühlsprintern geht ins Geld. Und wie es mit den Energiepreisen weitergeht, wissen wir auch noch nicht. Ein Problem ist, dass gleichzeitig die Spenden stagnieren. Wir haben zwar unsere Stammspender, die uns kontinuierlich unterstützen, aber ich weiß nicht, wie das in Zukunft aussieht wenn die Preise insgesamt noch mehr steigen.
Das Interview ist im Tafel-Magazin 2022 erschienen.