Andreas Steppuhn: „Es gibt viel zu tun“

Andreas Steppuhn
Foto: Philip Wilson

Andreas Steppuhn ist seit Juli 2023 Vorsitzender der Tafel Deutschland. Im Interview gibt der gebürtige Münsteraner Einblicke in die Zeit nach seinem Amtsantritt, spricht über Forderungen an die Politik und erklärt, warum junges Engagement wichtig ist.

Seit der Mitgliederversammlung Anfang Juli 2023 sind Sie der neue Vorsitzende der Tafel Deutschland. Was ist in der Zeit nach der Wahl geschehen?

Andreas Steppuhn: Die Freude über den Ausgang der Wahl und das damit ausgesprochene Vertrauen war wirklich groß. Im Anschluss an das Bundestafeltreffen im Juli habe ich mich gemeinsam mit meinen Kolleginnen und Kollegen aus dem geschäftsführenden Vorstand zusammengesetzt, um Aufgaben und Ziele zu verabreden. Alle sind sehr motiviert, ich habe aber auch nichts anderes erwartet.

Gruppenfoto des Vorstandes der tafel Deutschland
Der geschäftsführende Vorstand der Tafel Deutschland (v.l.): Dr. Maximilian Blaeser (stellv. Vorsitzender), Willi Schmid (Schatzmeister), Andreas Steppuhn (Vorsitzender), Jonah Lindinger (stellv. Vorsitzender) und Kai Noack (stellv. Vorsitzender)
Sie waren in der Gewerkschaft, Politik und seit 2005 in verschiedenen Positionen der Tafel-­Bewegung aktiv, inwieweit helfen Ihnen diese Einblicke und Erfahrungen für die
bevorstehenden Aufgaben?

Mein bisheriger Lebenslauf ist für meine neue Position sicherlich ein Vorteil. Ich kenne die Basisarbeit der Tafeln, war acht Jahre Vorsitzender eines Tafel-Landesverbandes, weiß allerdings ebenso, wie verschiedene Akteurinnen und Akteure handeln und habe noch viele Kontakte zur Politik, auf die ich zurückgreifen kann. Als Vorsitzender kann und werde ich meine beruflichen und politischen Erfahrungen aus meinem Werdegang bündeln und sie bestmöglich für die bevorstehenden Aufgaben einbringen. Ich weiß auf jeden Fall, dass es eine Menge zu tun und zu verbessern gibt.

Woran denken Sie da genau?

Natürlich möchten wir mit dem Dachverband weiterhin an die Politik herantreten, auf Missstände aufmerksam machen, Gespräche führen und endlich Taten sehen. Armutsbekämpfung steht ganz oben auf meiner Agenda, dafür benötigt es unter anderem eine ausfinanzierte Kindergrundsicherung. Wenn man die Zahlen sieht, wie viele junge Menschen in diesem reichen Land in Armut leben, ist das erschreckend.

Zur weiteren Eindämmung der Lebensmittelverschwendung brauchen wir zudem ein Lebensmittelrettungsgesetz sowie adäquate Bildungsangebote für Kinder, Jugendliche und Erwachsene. Die Tafeln übernehmen zum Teil freiwillig Aufgaben, die der Staat nicht schafft. Diese Rolle können und wollen wir jedoch nicht einnehmen. Ich würde es daher sehr begrüßen, wenn die Politik die Tafeln zum Beispiel bei den steigenden Energiekosten und Mieten sowie der Organisation von entsprechenden Räumlichkeiten unterstützen würde.

Welche Themen wollen Sie in nächster Zeit angehen?

Da stehen wichtige Themen auf dem Programm, zum Beispiel beim Ausbau und der Weiterentwicklung unserer Logistik und der Erweiterung der Digitalisierung. Wir möchten vermehrt Lebensmittel direkt bei Herstellern und Erzeugern retten und an Tafeln verteilen. Zudem ist unser Ziel, dass wir unsere Helferinnen und Helfer bestmöglich bei ihrer Arbeit unterstützen und Abläufe erleichtern.

Eines meiner persönlichen Ziele ist es, dass ich präsent sein möchte. Nicht nur in Berlin, sondern vor allem bei den Tafeln. Es geht mir darum, Gespräche zu führen, nah dran zu sein an dem, was die Menschen bei den Tafeln bewegt, was ihnen auf der Seele liegt. Diese Erfahrungen und Informationen möchte ich in unsere Vorstandsarbeit einfließen lassen. In Krisenzeiten einfach mal zuhören, das ist mir ein großes Anliegen.

Andreas Steppuhn steht vor einem E-Bike mit 3 Engagierten aus dem Vorstand der Tafel Wunstorf
Andreas Steppuhn zu Besuch bei der Tafel Wunstorf, v.l.: Frank Löffler (Vorsitzender Tafel Wunstorf), A.Steppuhn, Ursula Jungbluth und Wolfgang Klein (stellvertretende Vorsitzende Tafel Wunstorf); Foto: Tafel Deutschland e.V.
Sie sprechen es an: Die Tafeln befinden sich seit Jahren im Ausnahmezustand, erst die Pandemie, dann der Angriffskrieg auf die Ukraine und die anhaltende Inflation. Viele Tafeln sind an ihre Grenzen gestoßen – was macht Ihnen dennoch Mut?

Die generelle Entwicklung von Dachverband und Tafeln. Dass wir Dinge bewegen und vorantreiben, seien es spezielle Projekte, die Sensibilisierung für Themen wie Armut und Lebensmittelverschwendung oder die Aufklärung über das Mindesthaltbarkeitsdatum.

Mut macht mir auch, dass es trotz aller Belastungen – und da möchte ich wirklich ein ganz großes Dankeschön an alle Tafel-Aktiven aussprechen – weiterhin so viele Engagierte gibt, die sich für ihre Mitmenschen einsetzen. Auch die jüngeren Generationen, die sich einbringen wollen. Zu sehen, dass die Solidarität und der Wille, Menschen zu helfen, nicht weniger, sondern im Gegenteil immer stärker werden, ist ein positives Gefühl.

Wenn bei den Tafeln oder auch in anderen Organisationen Menschen aus verschiedenen Altersgruppen zusammenkommen, dann hat das einen Mehrwert für die Gesellschaft als Ganzes.

Zum Thema junges Engagement: Dieses bündelt sich in der Tafel Jugend. Bei der vergangenen Mitgliederversammlung wurde eine Jugendbeisitzerin in den Vorstand gewählt.

Damit unterstreichen wir die Wichtigkeit, die junge Menschen für unseren
Verband haben: Das sind Einblicke und Schwerpunkte einer anderen Generation. Mich freut es, zu sehen, dass sich in Deutschland viele junge Menschen für ihre Zukunft stark machen und sich Gehör verschaffen. Da kommen wir allerdings schnell zu einem anderen Thema: das Ermöglichen von Ehrenamt.

Der Großteil der ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer bei den Tafeln ist im Rentenalter …

Genau das ist der Punkt. So viele Bereiche in Deutschland hängen am Ehrenamt und profitieren davon, nicht nur bei den Tafeln. Es kann nicht sein, dass dies oft erst mit dem Eintritt in die Rente möglich ist. Politik und Arbeitgeber müssen hier kreativ werden. Die Ausübung eines Ehrenamtes muss bereits zu Studien-, Ausbildungs- und Erwerbszeiten ermöglicht werden. Es gibt viel zu tun. Jetzt gilt es, weiter für soziale Verbesserungen zu sorgen.


Dieser Beitrag erschien im Tafel-Magazin 2023.

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