„Ich möchte die Menschen dazu inspirieren, über das eigene Tun nachzudenken“

© Daniel Anthes

Daniel Anthes beschäftigt sich sowohl beruflich als auch im Privaten mit Fragen rund um eine nachhaltige Lebensweise. Mit uns sprach er über sein Engagement und die Herausforderung, Menschen für das Thema Lebensmittelwertschätzung zu sensibilisieren.

Warum erfahren Fragen rund um einen nachhaltigen Lebensstil und den bewussten Umgang mit Lebensmitteln gerade jetzt so viel Aufmerksamkeit?
Es ist heutzutage nicht mehr möglich, wegzuschauen. Wir bekommen in allen Medien vorgehalten, was unser Konsum in der Welt anrichtet. Neu sind die Themen nicht. Wir wissen schon lange, dass wir über die planetarische Grenze leben. Es gab immer wieder Menschen, die versucht haben, das Thema ins öffentliche Gedächtnis zu rufen, aber gescheitert sind.

Warum funktioniert es heute?
Die neuen Medien spielen eine große Rolle. Sie erleichtern die Kommunikation, News können in Echtzeit abgerufen werden. Ein Tweet oder Facebook-Post ist schnell geschrieben und erreicht in kürzester Zeit tausende Leserinnen und Leser. Wie gesagt, die Botschaften sind nicht neu – die Dringlichkeit zu handeln ist heute jedoch höher.

Sie beschreiben sich selbst als Nachhaltigkeits-Ninja. Worin genau sehen Sie Ihre Aufgabe?
Ich versuche zu zeigen, dass eine ressourcenschonende Lebensweise möglich ist, gebe Beispiele für die praktische Umsetzung im Alltag und möchte die Menschen dazu inspirieren, über das eigene Tun nachzudenken. Der Begriff Ninja kommt aus der japanischen Kampfkultur, da meine Tätigkeit etwas Kämpferisches hat: Jeden Tag leiste ich von neuem Überzeugungsarbeit – sei es in meiner Funktion als Berater beim Zukunftsinstitut, auf meinem Blog, bei Veranstaltungen zum Thema Nachhaltigkeit, bei denen ich als Redner teilnehme, oder auch einfach im persönlichen Gespräch mit Bürgerinnen und Bürgern. Man muss unermüdlich dranbleiben, um etwas zu erreichen.

Wann war der Moment, als Sie den Schalter in ihrem Leben umgelegt haben und sich gesagt haben: Es reicht, ich muss etwas tun?
Mein Schlüsselerlebnis hatte ich, als ich mich gerade frisch für Foodsharing angemeldet habe und das erste Mal Brot retten war. Ich bin nach Feierabend bei einem Filialbäcker vorbeigegangen, um die übrig gebliebenen Backwaren vor der Tonne zu retten. Nachdem alles eingeladen war, war das Auto brechend voll. Das war der Moment, als ich dachte: „Hey, das passiert hier jeden Tag; das ist Wahnsinn. Dagegen muss ich etwas tun.“

Das tun Sie nun unter anderem als ehrenamtlicher Vorsitzender von „ShoutOutLoud“. Was verbirgt sich hinter diesem Verein?
„ShoutOutLoud“ ist ein gemeinnütziger Verein, der gegen die Lebensmittelverschwendung vorgeht. Damit sind wir aber natürlich keine Konkurrenz, sondern ein aufgrund des Ausmaßes der Verschwendung dringender Partner an der Seite der Tafel. Die Zielgruppe mag natürlich eine etwas andere sein: Wo die Tafel primär bedürftige Menschen mit Lebensmitteln unterstützt, versuchen wir vor allem jene zu erreichen, die „im Zuviel“ leben. Wir zeigen den Menschen, dass Lebensmittelwertschätzung nicht nur die Umwelt schont, sondern auch Genuss, Spaß und Kreativität bedeutet. Verschiedene Veranstaltungsformate begleiten unsere Arbeit – zum Beispiel haben wir einen Foodtruck, mit dem wir unser Engagement auf die Straße bringen.

Wie können wir uns das vorstellen?

In unserem Foodtruck verwenden wir gerettete Lebensmittel zur Zubereitung von kreativem Streetfood. Wir wollen den Menschen zeigen, dass Lebensmittel, die eigentlich für die Tonne bestimmt waren, noch gegessen werden können. Unser leckeres Angebot spricht für sich und leistet einen wichtigen Beitrag gegen die Lebensmittelverschwendung. Gemeinsam mit Ihrer Freundin Katharina Schulenburg haben Sie im vergangenen Jahr das Kochbuch „Resteküche“ veröffentlicht.

Was können die Leserinnenen und Leser von Ihnen lernen?
Wir haben uns bewusst für eine Mischung aus Sach- und Kochbuch entschieden. Zum einen lernen die Leserinnen und Leser in unserem Buch, wie sie achtsamer mit Lebensmitteln umgehen können und deren unnütze Verschwendung vermeiden. Zum anderen möchten wir mit unseren Rezeptideen die Kreativität anregen. Im ersten Drittel thematisieren wir das Problem der Lebensmittelverschwendung, das restliche Buch gibt den Leserinnen und Lesern Lösungen an die Hand. Die im Buch aufgeführten Rezepte haben wir alle selbst getestet, teilweise auch selbst kreiert. Einige der Rezepte kommen regelmäßig in unserem Foodtruck zum Einsatz.

Wie gelingt es, die breite Bevölkerung für das Thema Lebensmittelverschwendung zu sensibilisieren?
Das ist eine gute Frage, die ich mir jeden Tag aufs Neue stelle. Wir merken schon, dass zu unseren Veranstaltungen immer wieder die gleichen Menschen kommen, die sowieso schon offen für das Thema sind. In unserem Foodtruck sehen wir eine Chance, aus diesem gewohnten Umfeld auszubrechen. Wir können an Orte fahren, an denen Menschen unterwegs sind, die nicht unbedingt eine unserer Veranstaltungen besuchen würden, und kommen mit ihnen ins Gespräch. Unsere Erfahrung zeigt: Man muss den Menschen direkt die Lösung mit an die Hand geben.

Können Sie hierfür ein Beispiel nennen?
Wenn wir zum Beispiel über das Mindesthaltbarkeitsthema sprechen, verbinden wir es direkt mit einer Verkostungsaktion. Die Gäste probieren einen Joghurt, der das MHD wenige Tage überschritten hat und merken, dass dieser einwandfrei schmeckt. Das klappt meistens besser, als nur darüber zu reden. Man muss Gewohnheiten aufbrechen – aber das braucht viel Zeit und Geduld.

Was treibt Sie in Ihrem täglichen Engagement an?
Ich habe einfach die Hoffnung noch nicht aufgegeben. Das klingt vielleicht etwas pathetisch, aber es ist im Kern das, was mich antreibt.

Die Frage „Was kann ich als Einzelner schon bewirken?“ wird immer wieder gestellt. Was antworten Sie diesen Menschen?
Es gibt viele kleine Stellschrauben im Alltag, die man ohne großen Aufwand betätigen kann. Mit jedem kleinen Schritt stoßen wir als Verbraucherinnen und Verbraucher neue Konsum- und Wirtschaftsmuster an. Jede und jeder Einzelne von uns. Das ist heutzutage alles nicht mehr aufwendig, macht am Ende aber einen großen Unterschied.

Vielen Dank für das Gespräch!

Der Beitrag erschien im Feedback 2019.

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