© Lisa-Marie Kaspar
Momentaufnahme: Montag im März 2019. Mehrere Tafel-Leitungen und Vorstände sind zum Seminar der Tafel-Akademie „Freiwillige gewinnen und langfristig binden“ nach Stuttgart gekommen. Schnell sind die Probleme auf dem Tisch: „Wir suchen Helferinnen und Helfer für die tägliche Arbeit.“ „Es kommen zwar ab und zu mal wieder neue Leute dazu. Aber eigentlich bleibt nur der feste Kern.“ „Nach vielen Jahren als Vorsitzende suche ich eine Nachfolge und finde niemanden!“
Mit ihren Problemen sind die Teilnehmenden des Seminars nicht allein. Für viele Vereine ist es schwieriger geworden, Ehrenamtliche zu gewinnen. Dies trifft besonders für jene zu, die ehrenamtliche Leitungskräfte und Vorstände suchen. Das belegen Studien. Steckt das Ehrenamt in der Krise? Nein. Denn Fakt ist auch: Freiwilliges Engagement und die Bereitschaft dazu sind seit Jahren auf hohem Niveau stabil, so der Deutsche Freiwilligensurvey. Bestes Beispiel sind die Tafeln: Bei ihnen versammeln sich mehr als 60.000 Menschen, die Woche für Woche Lebensmittel retten und Bedürftigen helfen.
„Für viele Vereine ist es schwieriger geworden, Ehrenamtliche zu gewinnen.“
Christiane Biedermann
Im eng getakteten Alltag bleibt wenig Zeit für ehrenamtliche Aktivitäten
Also, woher mögen die Schwierigkeiten rühren? Aus mangelnder Begeisterung und Bereitschaft jedenfalls kaum. Freiwilliges Engagement stellt sich heute anders dar als noch vor zehn oder 25 Jahren. Im eng getakteten Alltag bleibt wenig Zeit für ehrenamtliche Aktivitäten. Die Motive und Erwartungen von ehrenamtlich Engagierten ändern sich, dazu kommen der demografische Wandel und die Zunahme an gemeinnützigen Organisationen, die den Wettbewerb um ehrenamtlich Engagierte verstärkt. Wichtig wird die Erkenntnis: Es gibt kein Abonnement auf Ehrenamtliche. Vielmehr bedarf es eines verlässlichen Freiwilligenmanagements und fester Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner in den Tafeln. Um eine Hürde im Ehrenamt zu nehmen, den Zeitmangel, wird unerlässlich, dass Interessierte möglichst ohne großen Aufwand, zeitlich begrenzt, projektbezogen und flexibel mitmachen sowie die freiwilligen Aktivitäten nahtlos in ihren Alltag integrieren können. Dem gegenüber steht die Planungssicherheit, die die Tafel-Arbeit benötigt. Diese Herausforderung ist nicht im Handumdrehen zu bewältigen, sondern setzt mitunter Veränderungsprozesse voraus.
Ganz wesentlich sind Wertschätzung und Anerkennung
Aber auch mit kleinen „Stellschrauben“ kann viel bewegt werden: zum Beispiel mit einem Mitmach-Button auf der Website, verbunden mit konkreten Aufgaben, Zeitangaben und einem persönlichen Appell, der zum Helfen aufruft. Ganz wesentlich sind die Wertschätzung der Tafel-Aktiven und die Anerkennung ihres Einsatzes. Neben einem „Schulter klopfen“, Dankeschön-Veranstaltungen und Zertifikaten für junge Tafel-Aktive sind es vor allem soziale Bindungen und die Gemeinschaft, die Menschen in ihrem Engagement halten. Besonders motivierend ist, wenn sie sagen können: „Die Arbeit mit den Leuten hier macht einen Riesenspaß.“
Tafel-Leitungen und Vorstände tragen eine große Verantwortung. Es gilt, mit überschaubaren Vorstandszeiten sowie konkreten Verantwortlichkeiten Nachfolgerinnen und Nachfolger zu gewinnen. So wüssten sie besser, was von ihnen erwartet wird und was sie einbringen können, z. B. ihr Know-how mit Finanzen oder in der Öffentlichkeitsarbeit. Freilich wirken da bürokratische Belastungen kontraproduktiv. Hier liegt der Handlungsbedarf weniger bei den Tafeln selbst als bei Politikerinnen und Politikern. Sie müssen für unbürokratische Bedingungen sorgen.
Das eingangs erwähnte Seminar war übrigens keine klassische Schulung. Die Teilnehmenden entwickelten vielmehr konkrete Lösungen für die Tafel-Arbeit. Nach dem Seminar wandte die stellvertretende Vorsitzende der Butzbacher Tafel, Monika Wilhelm, das Erlernte direkt an. Sie schaltete einen Aufruf in der Lokalzeitung und einen Post auf Facebook. Dadurch konnte die Tafel Butzbach bereits neun freiwillige Helferinnen und Helfer für die Ausgabe der Lebensmittel gewinnen.
Der Beitrag erschien im Tafel-Magazin 2019.