Sirkka Jendis: „Politik darf Ehrenamt nicht ausnutzen“

Sirkka Jendis sitzt an einem Tisch und spricht. Hinter ihr sieht man an einem halbrunden Tisch mehrere Abgeordnete sitzen.
Sirkka Jendis spricht im Unterausschuss Bürgerschaftliches Engagement. Screenshot: bundestag.de

Freiwilliges Engagement leistet einen wertvollen Beitrag für unsere Gesellschaft, gleichzeitig darf sich die Politik nicht darauf ausruhen. Das tut sie jedoch. „Wir werden nicht müde zu betonen: Die Tafeln können armutsbetroffene Menschen unterstützen, aber nicht versorgen. Das ist Aufgabe des Staates“, erklärte unsere Geschäftsführerin Sirkka Jendis am 17. Januar 2024 im Bundestag. Dort war sie als Sachverständige für ein Fachgespräch des Unterausschusses Bürgerschaftliches Engagement geladen.

In den über 970 Tafeln engagieren sich 60.000 Menschen – 90 Prozent von ihnen ehrenamtlich. Als größte soziale Lebensmittelretter Deutschlands verteilen die Tafeln nicht nur gerettete Lebensmittel, sondern laden als Orte der Begegnung armutsbetroffene Menschen auch dazu ein, aus ihrer Isolation etwas herauszukommen, so Sirkka Jendis: „Für uns bedeutet Armut nicht nur zu wenig Geld, sondern auch Armut an Möglichkeiten zur sozialen Teilhabe.“

All diese Angebote ermöglichen die Engagierten bei den Tafeln, deren Einsatz die vielen Krisen seit Jahren erschweren. An die Bundestagsabgeordneten hat Sirkka Jendis deshalb klare Forderungen gestellt.

Bürgerschaftliches Engagement stärken: unsere Forderungen

1️⃣ Finanzielle Unterstützung für ehrenamtliches Engagement

Für ehrenamtliche Arbeit benötigen Organisationen wie die Tafeln finanzielle Ressourcen, beispielsweise für eine hauptamtliche Betreuung und Koordinierung ihrer Engagierten, für ihre Qualifizierung oder für Maßnahmen wie Digitalisierung, die das Ehrenamt gezielt unterstützen.

2️⃣ Neue Formen des Engagements ermöglichen

Wer etwa berufstätig ist, Kinder hat oder Familienmitglieder pflegt, hat selten Zeit für ein klassisches Ehrenamt. Daher fordern wir Unterstützung für neue Formen des Engagements wie das Corporate Volunteering. Auch der Bundesfreiwilligendienst muss gestärkt werden.

3️⃣ Anerkennung und Wertschätzung für freiwilliges Engagement

Wer sich im sozialen und ökologischen Bereich engagiert, ist einer hohen Belastung ausgesetzt – verstärkt durch die Krisen der letzten Jahre. Oft kostet ein Ehrenamt die Engagierten auch Geld, beispielsweise für Fahrwege. Deshalb benötigen wir dringend mehr öffentliche Anerkennung ehrenamtlicher Engagierter durch Politik und Medien. Als konkrete Maßnahmen empfehlen wir psychologische Beratungsangebote für Engagierte, die kostenfreie Nutzung des ÖPNV sowie andere lokale bzw. kommunale, symbolische Entlohnung wie Ehrenamtskarten.

Wir beobachten eine enorme Kraft zur Krisenbewältigung bei den Ehrenamtlichen. Die Politik sollte die Kraft des Ehrenamts nutzen, aber eben nicht ausnutzen.

Sirkka Jendis, Geschäftsführerin Tafel Deutschland e.V.

Ihr Statement schloss Sirkka Jendis mit einem wichtigen Appell:

„Eine starke Demokratie lebt von aktiven Bürger:innen. Gerade jetzt, gerade in diesen Zeiten der Krisen wird der gesellschaftliche Zusammenhalt immer wichtiger. Wir brauchen eine Stärkung des Ehrenamts, um auch unsere Demokratie und die bürgerschaftliche Partizipation zu stärken.“

Bürokratische Hürden abbauen und Nachwuchs fördern

Neben unserer Geschäftsführerin nahm auch Henriette von Wulffen, Abteilungsleiterin Ehrenamt bei der Berliner Stadtmission, als Sachverständige an der Sitzung teil. Sie sprach sich unter anderem für hauptamtliche Stellen in der Ehrenamtskoordination aus, um Ehrenamtliche gezielt und zuverlässig dort einsetzen zu können, wo sie benötigt werden.

Nach den Statements der beiden Expertinnen konnten die Abgeordneten ihnen Fragen stellen. Thematisiert wurden dabei Möglichkeiten, die Tafeln und damit ihre Engagierten zu entlasten. „Uns würde es helfen, wenn die Tafeln nicht mehr mit horrenden Müllkosten zu kämpfen hätten“, sagte Sirkka Jendis. Denn alle Lebensmittel, deren Qualität nicht ausreicht, muss eine Tafel entsorgen und dafür aufkommen. Auch eine Befreiung von der Kfz-Steuer würde den Tafeln Geld und Aufwand ersparen, wie unsere Geschäftsführerin in der Sitzung erklärte: „Bürokratische Hürden abbauen würde Tafel-Arbeit erleichtern.“

Junge Menschen posieren fröhlich mit dem Logo der Tafel Jugend.
Junge Engagierte bei einem Netzwerktreffen der Tafel Jugend 2023 in Berlin. Foto: Markus Karas

Eine Abgeordnete fragte anschließend nach der Altersstruktur im Ehrenamt und welche Bedeutung das Engagement junger Menschen im sozialen Bereich hat. Nachwuchsarbeit ist für die Tafel Deutschland enorm wichtig: Nur sechs Prozent der Engagierten bei den Tafeln sind jünger als 30 Jahre, das möchten wir ausbauen. Die Tafel Jugend setzt sich dafür ein, junge Menschen auf das Ehrenamt bei den Tafeln aufmerksam zu machen, neue Engagementsmöglichkeiten für sie zu entwickeln und junge Ehrenamtliche stärker in den Verband einzubinden. „Wir merken: Je flexibler wir Möglichkeiten für ein Ehrenamt anbieten können, desto mehr kommen die Menschen zusammen. Wenn sie dabei sind, bleiben sie häufig auch.

Wie kann die Politik bei der Nachwuchsarbeit unterstützen? „Es hilft uns, wenn wir Ehrenamtlichen konkrete Angebote wie ein ÖPNV-Ticket machen können“, verweist Sirkka Jendis auf ihre zuvor geäußerten Forderungen. „Was auch hilft, ist die Digitalisierung. Viele Tafel-Ehrenamtlichen sind noch analog unterwegs, die wollen wir auch weiter mitnehmen. Aber wir müssen in die Digitalisierung investieren; das kostet sehr viel Geld.“


Die Aufzeichnung der Sitzung könnt ihr euch in der Mediathek des Bundestags anschauen.

Ähnliche Beiträge