Was Kinder brauchen und wie die Kindergrundsicherung dabei helfen muss

Foto: Till Harneit

Kinderarmut ist in Deutschland weit verbreitet und trotzdem kaum sichtbar. Mehr als jedes fünfte Kind ist von Armut bedroht – das sind knapp drei Millionen. Auch 30 Prozent der zwei Millionen Tafel-Kundinnen und -Kunden sind jünger als 18 Jahre. Ein Armutszeugnis für unser reiches Land und ein Zustand, der für Betroffene oft lebenslange Nachteile bedeutet. Tafeln unterstützen ihre jüngsten Gästinnen und Gäste mit Freizeit- und Bildungsangeboten, die sichtbar machen, was ihnen im Alltag fehlt.

Kinder, die lachend über einen Waldweg toben und später aus Kastanien und Zahnstochern konzentriert kleine Figuren basteln. Kinder, die bei Lernproblemen zur Nachhilfe gehen und ihre schulischen Leistungen verbessern können. Kinder, die neugierig in einem Buch blättern und sich in fantasievolle Geschichten vertiefen. Alltagsszenen für viele, aber ungewohnte Erfahrungen für andere.

Kinder- und Familienarmut bedeutet eben nicht nur, dass Kinder keine neuen Markenklamotten tragen, keine kostenpflichtigen Hobbys ausprobieren und nicht in den Urlaub fahren. Sie bedeutet auch, dass auf den Tischen von Familien mit wenig Geld seltener gesunde, frische Lebensmittel stehen. Gerade die Inflation und die heftig gestiegenen Lebensmittelpreise machen eine ausgewogene Ernährung in vielen Fällen unerschwinglich. Kinder aus armutsbetroffenen Familien kommen zudem deutlich seltener aufs Gymnasium und haben deutlich schlechtere Bildungschancen als Kinder mit gut verdienenden Eltern. Das trägt dazu bei, dass sich Armut verfestigt und von Generation zu Generation weitergetragen wird.

Essen, konzentrieren, lernen: Alles hängt zusammen

Tafeln lindern Armut so gut wie möglich mit Lebensmitteln. Auch in der Schule: Für viele Schülerinnen und Schüler ist das kostenlose Frühstück aus der Power Kiste die erste Mahlzeit des Tages. Das Projekt „Power Kiste“ bietet ein gesundes Schulfrühstück, das die Schülerinnen und Schüler an den Projektschulen selbst aus frischen Lebensmitteln zubereiten und gemeinsam essen. Die Tafel-Aktiven, die das Projekt betreuen, berichten immer wieder von den positiven Auswirkungen: „Die Konzentration ist z.B. bei den Hausaufgaben wesentlich besser als an anderen Standorten, wo es keine Verpflegung gibt.“

Früher hatten wir täglich die Situation, dass viele Kinder hungrig waren und sich daher nicht auf den Unterricht konzentrieren konnten. Unseren Schülerinnen und Schülern fällt das Lernen sowieso schon schwer, der Hunger hat es noch schwieriger gemacht. Die Power Kisten tragen zu einem guten Lernklima an unserer Schule bei und sind fester Bestandteil der ersten großen Pause. Die Kinder werden an Lebensmittel herangeführt, die zuhause oft nicht üblich sind (Wasser, Schwarzbrot, Kräuterquark) oder die aus Kostengründen eher selten eingekauft werden (Obst, Gemüse).

Während der Krisen der letzten drei Jahre hat sich die wirtschaftliche Situation vieler Familien verschärft. „Die Power Kiste stellt nach wie vor einen großen Teil der Grundversorgung unserer Schülerinnen und Schüler dar“, berichtet die Tafel Köln. „Es ist zunehmend zu bemerken, dass die Eltern sich auf die Versorgung in der Schule verlassen; viele Eltern sind selbst Kundinnen und Kunden der Lebensmittelausgabestellen der Tafel.“

Tafel-Freizeitangebote für Kinder und Jugendliche

Tafeln unterstützen nicht nur mit frischen Lebensmitteln, sondern organisieren in vielen Fällen zusätzlich Freizeit- und Bildungsangebote für Kinder und Jugendliche. Tafel Deutschland fördert solche Angebote bei Tafeln finanziell. So konnten wir beispielsweise über den Projektbereich „Tafel-Bildungschancen“ seit 2020 insgesamt 30 Tafel-Projekte ermöglichen, die knapp 1.500 Kinder und Jugendliche erreicht haben. Die Projekt-Evaluation im Januar 2023 ergab, dass die teilnehmenden Kinder und Jugendlichen bei knapp 90 Prozent der Projekte neue Kontakte knüpfen und Freundschaften schließen konnten.

Unbeschwert mit Gleichaltrigen spielen, sich selbst ausprobieren können und neue Fähigkeiten lernen: Das alles fördert eine gesunde Entwicklung. Kinder aus armutsbetroffenen Familien haben jedoch weniger Zugang zu Freizeitbeschäftigungen und können seltener Hobbys ausüben. Auch Unterstützung beim Lernen beispielsweise durch Nachhilfe fehlt vielen.

Dabei wirken sich niedrigschwellige Hausaufgaben- und Lernhilfen positiv auf die Noten, aber auch auf die generelle Entwicklung der Kleinen aus. „Bessere schulische Leistungen verändert die Selbstwahrnehmung der Kinder“, beobachtete beispielsweise die Tafel Düsseldorf bei ihrem Bildungschancen-Projekt. Bei der Tafel Künzelsau bemerkten die Lernmentorinnen und -mentoren bereits nach wenigen Monaten „eine Verbesserung der Sozialkompetenzen in Form eines positiveren Verhaltens in der Gruppe aber auch im Umgang mit den Mentorinnen und Mentoren selbst“.

Armutserfahrung und Teilhabe

Je weniger sich Menschen als Teil der Gesellschaft fühlen, desto größer wird auch die Hürde, kostenlose Angebote anzunehmen, und sich zu trauen, etwas Neues auszuprobieren. Tafel-Aktive gehen deshalb aktiv auf Kundinnen und Kunden zu, um sie und ihre Kinder zu anstehenden Projekten einzuladen. Mit persönlicher Ansprache und etwas Motivationsarbeit können sie die Menschen oft von ihren Angeboten überzeugen, wie beispielsweise die Tafel Spremberg erlebt hat: „Die Kinder waren dann mit Spaß und Freude dabei. Ein Nachmittag in Familie – für viele unserer Kundinnen und Kunden ist dies nicht selbstverständlich. Sowohl die Kinder als auch die Eltern konnten sich mit Gleichaltrigen austauschen und die Stunden mit Programm, Essen und Trinken genießen.“ Dank des Förderprogramms „Tafel stärkt Kinder“ hatte die Tafel Spremberg unter anderem mit armutsbetroffenen Familien gebastelt und gebacken.

Ein Teil der Gesellschaft sein: Das darf nicht vom Geld abhängen

All diese wichtigen Erfahrungen aus den Kinderprojekten der Tafeln verdeutlicht uns, wie dringend Kinder, Jugendliche und ihre Familien direkt unterstützt werden müssen.

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Tafel-Aktive helfen vielen armutsbetroffenen Kindern und Jugendlichen, tun das aber fast ausschließlich ehrenamtlich. Projekte und Freizeitangebote ergänzen den Alltag der jungen Tafel-Kundinnen und -Kunden, können die Folgen von Armut aber nur lindern. Damit jedes Kind mit den gleichen Chancen und Möglichkeiten aufwächst, braucht es staatliche Unterstützung. Hier ist die Kindergrundsicherung gefragt, die die Bundesregierung fest in ihrem Koalitionsvertrag verankert hat. Sie muss Kinder und Jugendliche vor Armut bewahren und schnellstmöglich umgesetzt werden.

Mit einem gemeinsamen Aufruf haben 28 Organisationen, darunter auch Tafel Deutschland, Bundesarbeitsminister Hubertus Heil letzte Woche aufgefordert, den Weg für eine armutsfeste Kindergrundsicherung freizumachen. Aufgabe des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales ist es, das Existenzminimum für Kinder und Jugendliche realistisch zu ermitteln. Aufgrund dieser Zahlen kann dann die Kindergrundsicherung berechnet werden. Sie sieht einen Garantiebetrag vor, der allen Kindern und Jugendlichen zustehen wird. Zusätzlich wird es existenzsichernde Zuschläge geben, auf die Kinder aus Familien mit geringem Einkommen Anspruch haben werden.

Ein sicheres Zuhause, gesunde Lebensmittel, faire Bildungschancen und Teilhabe am sozialen Leben: Das alles darf für kein Kind Luxus sein, sondern muss zum Leben dazugehören.


Sie möchten gezielt für die Kinder- und Jugendarbeit der Tafeln spenden? Dann wählen Sie bitte in unserem Spendenformular bei „Wofür möchten Sie spenden?“ den Punkt „Kinder und Jugendliche“. Wir danken Ihnen von Herzen für Ihre Unterstützung der jüngsten Tafel-Gästinnen und -Gäste!

Foto: Oliver Vaccaro

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