Fotos: Tafel Deutschland e.V.
Bücher kann man nicht nur lesen, sondern auch essen – zumindest, wenn die Kinder bei der Tafel Zerbst bunte Plätzchen in Buchform backen. Im Projekt „Rund ums Buch“, gefördert von „Tafel stärkt Kinder“, haben sich Kinder und Jugendliche diesen Herbst kreativ mit Büchern beschäftigt und wertvolle Zeit zusammen verbracht.
„Schau mal, mein Keks!“ Stolz hält die kleine Elsa ihren Teller in den Händen. Aus Plätzchenteig hat sie beim Backnachmittag der Kinder-Tafel Zerbst ein Buchcover gebacken und es mit roten und grünen Linien verziert, die sich um ein aufgerissenes Drachenauge schlängeln. Auch Plätzchen in Form von Schul- und Märchenbüchern, mit Herzchen verzierte Bücher und ein kleiner Teighamster, der die Keksbücher anknabbert, entstehen an diesem Septembertag.
14 Kinder und Jugendliche zwischen 2 und 16 Jahren treffen sich hier, um gemeinsam Zeit zu verbringen. Der Jüngste krabbelt mit einem Spielzeugbagger über den Boden, während die Älteren beim Projekt „Rund ums Buch“ mitmachen.
Das Projekt der Kinder-Tafel Zerbst animiert Kinder und Jugendliche nicht nur zum Lesen. Es lädt sie auch an einem Nachmittag pro Woche dazu ein, sich kreativ und spielerisch mit Büchern auseinanderzusetzen. Sie basteln, erstellen ein Kochbuch oder backen eben Plätzchen in Buchform.
Großes Engagement für armutsbetroffene Kinder
Verantwortlich für das Projekt ist Birgit Brandtscheit. Sie begrüßt uns mit einer herzlichen Umarmung: „Fühlt euch wie zuhause bei uns!“ Die Leiterin der Kinder-Tafel Zerbst engagiert sich hier seit 2002. Fast jeden Werktag verbringt sie in dem ehemaligen Schulgebäude, in dem heute die Tafel und die Kinder-Tafel Zerbst zuhause sind. Sie veranstaltet Projekte für Kinder und Jugendliche, stellt Förderanträge, putzt die Räume und wenn bei der Tafel Zerbst Not an der Frau ist, springt sie auch da ein.
„Unser Lohn ist, wenn wir sehen, dass es den Kindern gutgeht.“
Birgit Brandtscheit
ehrenamtliche Leiterin der Kinder-Tafel Zerbst
Die ehrenamtlichen Tafel-Helferinnen haben bereits den Teig vorbereitet, als die Kinder nach und nach ankommen. Davon trennen sich die jungen Bäckerinnen und Bäcker kleine Stücke ab und formen ihre Plätzchen. Um Mehl zu sparen, bedecken sie ihren Teigklumpen mit einem Stück Backpapier und rollen ihn dann mit dem Nudelholz aus. Daraus formen sie ihre essbaren Bücher und dekorieren sie nach kurzer Backzeit mit Streuseln und Lebensmittelfarbe.
Einige Kinder beißen genussvoll in ihre ofenwarmen Plätzchen. Andere lassen sie auskühlen und packen sie sorgfältig in Plastikdosen ein, um sie zuhause mit ihrer Familie zu teilen.
Nachhaltige Projekte planen
In zwei großen Schränken sammelt die Kinder-Tafel Übriggebliebenes aus anderen Projekten und Aktionen. Pinsel, Buntpapier, Weihnachtsbaumkugeln und vieles mehr wartet hier ordentlich sortiert in Boxen und Gläsern auf den nächsten Einsatz. „Wenn ich ein Projekt plane, schaue ich zuerst, was wir dahaben und was ich daraus machen kann“, erklärt Birgit Brandtscheit. „Wir wollen alles verwerten, denn Wegwerfen ist auch für die Umwelt schlecht. Ich möchte den Kindern ein Vorbild sein und ihnen zeigen, dass man Sachen weiterverwenden kann.“
Für Dinge wie Backzutaten, die zum Umsetzen der Projektidee fehlen, beantragt sie Gelder, beispielsweise beim Förderprogramm „Tafel stärkt Kinder“ von Tafel Deutschland. Darüber haben wir auch das Projekt „Rund ums Buch“ in Zerbst finanziell gefördert.
„Tafel stärkt Kinder“ unterstützt Tafeln dabei, neben der Lebensmittelausgabe zielgerichtete Projekte für ihre jüngsten Gästinnen und Gäste anzubieten. Denn über ein Viertel der Tafel-Kundschaft ist jünger als 18 Jahre. Kinderarmut hat dabei nicht nur materielle Folgen. Betroffene haben auch geringere Bildungschancen, höhere Gesundheitsrisiken und erleben öfter soziale Isolation als Gleichaltrige aus wohlhabenderen Familien. Von Urlaub können sie nur träumen und selbst der Eintritt ins Schwimmbad, die Ausrüstung für ein Hobby oder ein neues Buch sind oft nicht drin.
Mit Bildungs- und Freizeitangeboten ermöglichen Tafeln wie die Kinder-Tafel Zerbst soziale Teilhabe und geben Kindern und Jugendlichen die Möglichkeit, Kontakte zu knüpfen, etwas zu lernen oder einfach mal rauszukommen und unbeschwert zu spielen.
Aus dem Alltag ausbrechen
„Über Projekte möchten wir den Kindern vor allem etwas bieten, das sie zuhause nicht bekommen können“, sagt „Tante Birgit“, wie die jüngeren Kinder sie nennen. Besonders beliebt sind dabei Ausflüge und Kurzurlaube in der Umgebung, die die Kinder-Tafel dank finanzieller Förderungen und Spenden anbieten kann. Diesen Sommer war Birgit beispielsweise mit einigen Kindern und ihren Familien für ein paar Tage im zwei Stunden entfernten Goslar. „Für einen der Väter war es das erste Mal in seinem gesamten Leben, dass er Urlaub gemacht hat. Er wird mit Schwärmen gar nicht mehr fertig.“
Die Projekte und Ausflüge bereichern den Alltag der Kinder. „Die Erlebnisse mit den Kindern sind auch für mich wertvoll“, sagt die Leiterin der Kinder-Tafel. Für ihren ehrenamtlichen Einsatz bekommen Birgit Brandtscheidt und ihr Team kein Geld. „Unser Lohn ist es, wenn wir sehen, dass es den Kindern gutgeht“, sagt sie überzeugt. Birgit erzählt von Kindern, die zu Beginn verschlossen waren: „Über die Monate sind sie langsam aufgetaut. Jetzt kommen sie selbst auf mich zu und fordern Aufmerksamkeit ein.“
Lesen und vorlesen in der Kinder-Tafel Zerbst
Mit dem Projekt „Rund ums Buch“ möchte die Kinder-Tafel die Lesekompetenz fördern, sich kreativ mit Büchern beschäftigen und Begeisterung fürs Lesen wecken. Die kleine Elsa war zu Beginn gar nicht begeistert. „Och nee, willst du mir jetzt jeden Tag vorlesen?“, hatte sie Birgit gefragt. „Am Ende wollte sie nicht, dass ich aufhöre. Wir haben uns jetzt auf eine Geschichte pro Tag geeinigt.“
In der Kinder-Tafel liegen altersgerechte Bücher bereit, die die Kleinen allein durchblättern oder in kleinen Gruppen lesen. Manchmal spendet auch die örtliche Filiale einer großen Buchhandelskette Kinderbücher, die sie nicht verkauft hat oder die ihre Kundschaft bestellt, aber zurückgegeben hat. Darunter sind auch immer wieder fremdsprachige Bücher, über die sich die Kinder eingewanderter Familien freuen.
Nur in der Tafel zu lesen, reiche jedoch nicht, wie Birgit erklärt: „Die Eltern beeinflussen ihre Kinder. Sie müssen mitmachen und auch zuhause mit den Kindern lesen. Wir versuchen sie zu überzeugen.“ Deshalb bindet die Kinder-Tafel die Eltern aktiv in ihre Ausflüge und Projekte ein. Jedes Kind wird auch beim Backnachmittag von mindestens einem (Groß-)Elternteil begleitet. Gemeinsam zu backen, zu lesen und zu spielen, bringt Familien näher zusammen.