© Dagmar Schwelle
Sowohl aus einer individuellen als auch einer gesamtgesellschaftlichen Perspektive ist frühe Bildung eine der wichtigsten Ressourcen. Sie ist sowohl für eine gelungene Erwerbsbiographie und eine Teilhabe an der Gesellschaft sowie für eine prosperierende Wirtschaft von hoher Bedeutung. Der Bildungserfolg hängt in Deutschland jedoch nach wie vor stark vom Familienkontext eines Kindes ab. Dabei ist entscheidend, welchen Bildungshintergrund die Eltern haben, ob sie erwerbstätig sind, und eng damit verbunden auch, wie die finanzielle Situation der Familie aussieht.
12 Prozent der Kinder haben Eltern, die weder eine Hochschulzugangsberechtigung noch eine abgeschlossene Berufsausbildung vorweisen können. 20 Prozent aller Kinder leben in Familien mit einem Haushaltseinkommen unter der Armutsgefährdungsgrenze. Dabei sind insbesondere Familien mit drei und mehr Kindern und Haushalte mit alleinerziehenden Elternteilen betroffen. Insgesamt ist mit gut 30 Prozent fast jedes dritte Kind von mindestens einer sogenannten Risikolage betroffen.
Investitionen in Bildung und Betreuung zahlen sich aus
Auf die Frage, wie entsprechende sozioökonomische Ungleichheiten kurz- und auch langfristig reduziert werden können, sind Investitionen in eine hochwertige frühe Bildung und Betreuung bzw. eine qualitativ sehr gute Kindertagesbetreuung eine Antwort. Eine gute Kindertagesbetreuung kann beiden Eltern eine Erwerbstätigkeit ermöglichen, welche zu einem Haushaltseinkommen über der Armutsgefährdungsgrenze beiträgt. Insbesondere für Alleinerziehende, aber auch für andere Familien stellen diese Bildungs- und Betreuungsangebote elementare Bestandteile einer Vereinbarkeit von Familie und Beruf dar. Sie ermöglichen aber auch Familienaufgaben mit einer Aus- und Weiterbildung zu vereinbaren – für eine mittelfristige Einkommenssicherung oberhalb der Armutsgrenze häufig ebenfalls von zentraler Bedeutung. Darüber hinaus kann eine gute frühkindliche Bildung und Betreuung auch mittel- bis langfristig zu besseren Bildungsergebnissen bei Kindern führen. Damit können Investitionen in eine hochwertige frühe Bildung und Betreuung sowohl kurzfristig über eine verbesserte Vereinbarkeit von Familie und Beruf und mittel- bis langfristig über bessere Entwicklungschancen von Kindern wirken.
Kinder aus sozioökonomisch benachteiligten Familien seltener in Tagesstätten
Die Befundlage für Deutschland zeigt allerdings, dass gerade Kinder aus sozioökonomisch benachteiligten Gruppen in sehr jungen Jahren mit einer sehr viel geringeren Wahrscheinlichkeit eine Kindertageseinrichtung besuchen als ihre Peers. Dies betrifft insbesondere Kinder unter drei Jahren. In diesem Bereich der Kindertagesbetreuung hat in den letzten Jahren ein massiver Ausbau stattgefunden – von diesem Ausbau haben aber vorrangig Kinder aus sozioökonomisch besser gestellten Familien profitiert. So zeigen einschlägige repräsentative Analysen, dass insbesondere Kinder von Akademiker:innen und Kinder, von denen beide Elternteile bzw. ein Elternteil einer Erwerbstätigkeit nachgehen, Kindertageseinrichtungen besuchen. Kinder unter drei Jahren aus Haushalten, deren Einkommen über der Armutsgefährdungsgrenze liegt, haben eine Bildungsbeteiligung von 37 Prozent (2015/16), während die Bildungsbeteiligung von Kindern aus Haushalten mit einem Einkommen auf und unter der Armutsgefährdungsgrenze bei 30 Prozent lag. An diesen Nutzungsunterschieden hat auch der 2013 eingeführte Rechtsanspruch auf einen Platz in einer Kindertagesbetreuung ab dem zweiten Lebensjahr eines Kindes nichts verändert. Gleichwohl nahezu alle Kinder im Alter von drei Jahren und älter inzwischen eine Kindertageseinrichtung besuchen, zeigen sich Unterschiede nach dem täglichen Betreuungsumfang. Kinder aus armutsgefährdeten Haushalten nutzen nur mit 41 Prozent ganztägige Bildungs- und Betreuungsangebote, während es bei der gleichaltrigen Gruppe aus Haushalten mit einem höheren Einkommen immerhin 49 Prozent sind.
Schaffung von niedrigschwelligen Bildungs- und Betreuungsangeboten
Vor diesen Hintergründen muss es darum gehen, sozioökonomisch benachteiligte Familien über die Bedeutung hochwertiger Bildungs- und Betreuungsangebote aufmerksam zu machen und über entsprechende Zugangsmöglichkeiten zu informieren sowie insbesondere für sie entsprechende Angebote bereitzustellen. Entsprechend niederschwellige Brückenprojekte sind zielgruppenspezifisch zu fördern und zwar nicht nur als Modellvorhaben, sondern mit nachhaltigen Finanzierungszusagen. Vor dem Hintergrund sozial-, arbeitsmarkt-, bildungs- und familienpolitischer Überlegungen sollte die frühe Bildungsbeteiligung von Kindern aus armutsgefährdeten Familien nicht an fehlenden Plätzen für diese Kinder scheitern. Die Bildungschancen der Kinder können darüber hinaus nur durch eine hohe pädagogische Qualität gesichert werden – auch dafür sind entsprechend öffentliche Ressourcen bereitzustellen. Denn eine effektive und effiziente Maßnahme der Armutsprävention ist die Bereitstellung qualitativ hochwertiger früher Bildungs- und Betreuungsangebote. Ein Befund, der für viele Politikbereiche eine Leitplanke sein sollte!
Text: C. Katharina Spieß
Der Beitrag erschien im Tafel Magazin 2018.