Fotos: Oliver Vaccaro
Seit 2018 bringt die Tafel Deutschland in Kooperation mit der Tafel-Akademie kulturpädagogische Projekte an die Tafeln, um von Armut betroffenen Kindern und Jugendlichen kulturelle Teilhabe zu ermöglichen und Perspektiven für eine selbstbestimmte Zukunft zu eröffnen.
Kinderarmut – das bedeutet: Verzicht, Ausgrenzung und schlechtere Bildungs- und Aufstiegschancen. Das Programm „Tafel macht Kultur“ leistet aktive Hilfe gegen die Folgen von Kinderarmut und unterstützt die Betroffenen in ihrer persönlichen Weiterentwicklung und Bildungsbiografie. Wir haben die Projekte „Kiezköche“ und „Der lange Weg zum SSV-Fußball-Abzeichen“ aus diesem Programm besucht. Darin entfalten junge Teilnehmende abseits vom schulischen Leistungsdruck ihr kreatives Potenzial und werden ermutigt, der eigenen Zukunft positiv entgegenzublicken.
Viele Köche verderben den Brei? Die „Kiezköche“ beweisen das Gegenteil
Ein Spätsommertag in Berlin. Der Himmel ist wolkenlos und das Thermometer zeigt fast 30 Grad, obwohl der Abend bereits näher rückt. Auf dem Hinterhof des kunterbunt mit Graffiti-Kunst bemalten Vereinsgebäudes des „Drop In e.V.“ treffen sich an diesem Nachmittag die „Kiezköche“: eine Gruppe von Jugendlichen mit und ohne Fluchterfahrung, die nicht nur gemeinsam unter freiem Himmel kochen und essen, sondern auch die gekochten Rezepte künstlerisch übersetzen.
Florentine Halder, die Projektleiterin des wöchentlich stattfindenden Koch- und Kreativworkshops, fasst die Inhalte zusammen: „Die Jugendlichen tauschen sich über ihre Lieblingsgerichte aus ihrer Heimat aus und lernen dabei verschiedene traditionelle Küchen und Kulturen kennen. Unter Anleitung eines ausgebildeten Kochs und einer Designerin mit pädagogischer Ausbildung organisieren und gestalten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer den Workshop partizipativ. Haptisches Ziel des Projekts ist das Festhalten der gemeinsam ausgewählten und gekochten Rezepte in Form eines künstlerisch gestalteten Kochbuches.“
Zusammenschluss von vier Bündispartnern
Für das Projekt „Kiezköche“ haben sich vier zivilgesellschaftliche Akteure aus Berlin zu einem lokalen Bildungsbündnis zusammengeschlossen. Jeder Bündnispartner übernimmt dabei eine personelle oder ideelle Eigenleistung, die in einer Kooperationsvereinbarung festgehalten wurde. So übernimmt beispielsweise der Verein „Drop In e. V.“ die gesamte Projektleitung. Die Berliner Tafel e. V. stellt einen Koch aus ihrem Projekt „KIMBAmobil“, der die „Kiezköche“ begleitet, und stellt je nach Kontingent die Lebensmittel für die gemeinsamen Kocherlebnisse. Weitere Bündnispartner sind das soziokulturelle Zentrum RAW // cc e. V. und der Kinder- und Jugendcircus „Zirkus Zack“.
Es ist 17 Uhr und die Arbeitsplatte der mobilen Outdoor-Küche ist bunt bestückt: Grüne Bohnen, Berge von Blattspinat, frische Chilischoten, ein großer Topf Petersilie, Süßkartoffeln und eigentümlich aussehende Bananen reihen sich aneinander. Eine arabische Spezialität steht auf dem Speiseplan. Steffen, der Kochprofi von der Berliner Tafel, empfängt gutgelaunt die eintreffenden Jugendlichen, die u. a. aus Syrien, Afghanistan, Russland und Deutschland stammen. Während die Jugendlichen damit beginnen, gemeinsam die Berge von Gemüse zu schnippeln, Zwiebeln anzudünsten und das heutige Rezept in Form von Collagen, Zeichnungen und Fotos kreativ zu dokumentieren, wundert sich eine Projektteilnehmerin über eine ganz bestimmte Zutat auf dem Tisch: „Ich wusste, dass es Kochbananen gibt, aber ich habe noch nie eine gesehen.“ Die junge Kiezköchin erzählt weiter, dass sie sich sehr über die bunte Auswahl an Lebensmitteln freut: „Ich selber könnte mir das nicht leisten und Kochkurse sind teuer.“ Toll findet sie auch die verschiedenen Nationalitäten der Teilnehmenden: „Man wird viel offener, fühlt sich eingebunden und hat vor allem keine Berührungsängste mehr.“ Auch Caro, ausgebildete Designerin und künstlerisch-pädagogische Betreuerin, ist begeistert: „Ich kann viel von den Jugendlichen lernen und ich finde es toll, dass wir uns auf Augenhöhe austauschen.“
Der Geruch von Curry und Knoblauch mischt sich langsam in die Abendluft. „Das Essen ist fertig!“, ruft einer der Jugendlichen ungeduldig und zeigt auf einen aus Europaletten aufgebauten Essbereich. Es dauert nicht lange und alle Kiezköche sitzen gesellig beisammen und lassen sich ihr selbst gekochtes Menü schmecken.
Trainieren und Filmen auf dem Fußballplatz
Im Fußball zählen gewöhnlich die Tore. Bei dem sport- und medienpädagogischen Projekt „Der lange Weg zum SSV-Fußball-Abzeichen“ ging es um weit mehr: Über drei Monate haben die teilnehmenden Kinder und Jugendlichen aus überwiegend sozial benachteiligten Verhältnissen nicht nur ihre Fähigkeiten wie Dribbeln, Schussgenauigkeit und Koordination trainiert, sondern ihre sportlichen Aktivitäten auch kreativ in Form eines Filmprojekts dokumentiert. Das Besondere: Der Film ist in diesem Fall Dokumentation und Spielfilm in einem.
Umgesetzt wird das Projekt von den Tafel-Projekten des Albert-Schweitzer-Familienwerk Brandenburg e. V., dem Spremberger SV 1862 e. V. und dem Spremberger Verein „BACK-PICTURES multimediales Jugendprojekt e.V.“ Bei dieser lokalen Kooperation übernimmt das Albert-Schweitzer-Familienwerks nicht nur die gesamte Projektleitung, sondern konnte zudem viele Kinder von Tafel-Kunden aus dem Spremberger Raum für eine Projektteilnahme begeistern.
Es ist warm und sonnig an diesem Samstagmorgen auf dem Sportgelände des Spremberger SV 1862 e. V. Auf der sattgrünen Wiese tummeln sich um die 50 Kinder und Jugendliche zwischen 7 und 18 Jahren. Bei genauerem Hinsehen wird klar, hinter dem Gewimmel steckt System: Voller Eifer trainieren hier altersspezifische Gruppen mit unterschiedlichen Schwerpunkten seit Wochen unter Anleitung von regionalen Trainern auf ein Fußball-Abzeichen hin.
An diesem Wochenende wird es für die jungen Projektteilnehmer gleich doppelt spannend: Die Abschlussprüfung steht kurz bevor. Aber vorher gibt es als absolutes Highlight der Trainingswochen Tipps und Tricks von Trainern mit Bundesligaerfahrung. Viele der Gesichter glühen deshalb nicht nur rot vor Anstrengung, sondern auch vor Freude und Aufregung.
Die Spannung ist auf dem gesamten Platz zu spüren: „Ich habe schon fünf Tore geschossen! Das Fußballabzeichen werde ich bestimmt schaffen“, sagt ein Junge vor laufender Kamera. Interviewt werden die Fußball-Kids von dem jungen Filmteam, das unter Anleitung des Medienpädagogen Benny Stobiński dem filmischen Material die abschließenden Aufnahmen hinzufügt. In den kommenden Wochen wird der Film von den jungen Filmemachern unter Anleitung geschnitten und vertont – zu sehen ist er dann auf YouTube.
Der Beitrag erschien im Tafel-Magazin 2018.